Therese Rie-Andro an Arthur Schnitzler, 30. 9. 1923

|Wien, 30. 9. 23

Verehrter Herr Doktor,

Haben Sie sehr sehr herzlichen Dank! Ich habe mich einen ganzen Nachmittag meiner Lieblingsbeschäftigung hingeben können: zu lachen. Wenn Sie freilich auch das »ernste Lachen« mit dazu rechnen wollen, das einen überkommt, wenn man das Allzumenschliche blosgelegt sieht. Es ist ein sehr weises Stück und ich weiss jetzt genau, warum ich es damals so besonders liebte!
Ich schicke Ihnen zugleich den versprochenen Rolland; Sie hätten ihn längst bekommen, aber ich wusste, dass Sie verreist waren. Hoffentlich interessiert er Sie – umsomehr, als Sie, wie Stefan Zweig mir in Salzburg erzählte, mit Rolland dort zusammen waren. Ein paar Aufsätze finde ich ja ein bischen langweilig, aber der Händel ist ergreifend schön für meinen Geschmack. Auch Metastasio mit seinem ganz modernen Musikdramatiker-Empfinden hat mir sehr gefallen und der musikwütige Engländer, der Musik so sehr vergöttert und so ungern bezahlt, ist auch nicht schlecht.
– – Sonderbar ist mirs immer, dass Rolland sich um J. S. Bach jedes Mal mit ein paar bewundernden Worten herumdrückt; aber ihm nie recht in die Nähe will. Vielleicht gibts da trotz allem doch nationale Schranken – oder er hat die Hmoll-Messe nie ordentlich gehört
Nochmals herzlichsten Dark und viele Grüsse1
[handschriftlich:] Ihre
Therese Rie.
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