Therese Rie-Andro an Arthur Schnitzler, 27. 1. 1913

|Wien, d. 27. Januar 13.

Verehrter Herr Doktor,

Auf der Rückreise von Berlin las ich den »Weg ins Freie« so ungefähr zum sechsten Mal und wie jedesmal bei diesem merkwürdig reichen Buche fielen mir eine Menge neue, nicht erfaßte Dinge auf, diesmal besonders im letzten Teil. Dabei stieß ich auch auf eine kleine Bemerkung über Melot, den von einem zweiten Sänger dargestellt zu sehen Georg sich ärgert. Da fiel mir ein, daß Sie sich für Pfitzner interessieren und daß von ihm ein feiner geistvoller Aufsatz existiert, der ausführlich das begründet, was Sie in ganz ähnlicher Auffassung in einem Satze andeuten. Ich grabe ihn also aus meinem Bücherschrank aus und schicke ihn an Sie – vielleicht kennen Sie ihn nicht und es macht |Ihnen Vergnügen, ihn zu lesen.
Vom Palestrina weiß ich seit diesem Sommer, wo ich Pf. in Leipzig traf, nicht mehr viel, außer daß der 1. Akt auch musikalisch fertig ist. Weiter wird er wol inzwischen auch nicht gekommen sein, da er ja leider als Operndirektor tätig ist – leider, da wir ja nichts davon haben; für die Straßburger mag’s ja ganz hübsch sein.
Noch will ich Sie von zweien Ihrer Werke grüßen: vom »Professor Bernhardi«, von dem ich durch einen Zufall aber nur die ersten zwei Akte hörte; und vom »Schleier der Pierrette«, den ich in Dresden, bei der Generalprobe von Dóhnanyis neuer Oper zu sehen bekam.
In alter herzlicher Bewunderung
L. Andro.

(Therese Rie.)
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar