Sie haben mir vor einigen Monaten einen Brief geschrieben, der mich sehr sehr erfreut
hat; dennoch würde ich Ihnen gewiß nicht schreiben, wenn ich nicht unter einem
ungeheuer starken künstlerischen Eindruck stünde: es ist der »
Professor Bernhardi«, den ich (durch dessen Vorlesung) kennen lernte. Sie werden ja jetzt soviel Schönes drüber
hören und lesen, daß ich es wol kaum wagen kann, Ihnen etwas zu sagen; ich versuch’s
auch gar nicht er
st. Aber diese in milder Heiterkeit sich lösende Tragödie des
aufrechten Menschen, dieser wunderbar in
Goethe’sche Sti
mmung ausklingende Schluß: »
Selig wer sich vor der Welt ohne Haß verschließt« –
|die gehen mir selbst in diesen trüben
ahnungsschweren Kriegszeiten i
mmer noch nach.
Aber noch anderes war es mir und mehr: die Erläuterung längst entschwundener
Kindheitserlebnisse, das Emportauchen von damals kaum begriffenen und doch erfaßten
Dingen. Mein
Vater war
Abteilungsvorstand an der
Poliklinik, als Ihr
Vater (den ich gekannt und
geliebt habe) Direktor war. Oft i
st er heiß und erregt nach Hause geko
mmen, hat vor mir, dem kleinen Kinde, auf das niemand
achtete, gesprochen. Es war ein Kampf, den die rechtlichen Leute alle dort führten,
vornehmlich gegen
Einen führten,
der, glaube ich,
↓leider↓ Vize-Direktor war. Ich weiß, daß Ihr
Stück nicht an Geschehnisse
anknüpft, aber an innere Erlebnisse, an Sti
mmungen, die
damals in der Luft gelegen haben müßen und ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie es
mich durchschauert hat, als ich diese Atmosphäre emportauchen fühlte, in der mein
Vater (er starb
1890, als ich noch ein Kind war) gelebt hat, mitgekämpft und
mitgelitten hat. Obgleich er in Ihrem
Stück sicherlich nicht »vorko
mmt« (um den banalen Ausdruck der Leute zu gebrauchen, die dem dichterischen Schaffen
ganz ferne stehen) war es mir einen Augenblick, als wäre mir etwas von ihm, an dem
ich mit meiner ganzen Kinderleidenschaft hing, zurückgekehrt: so sehr hat Ihr
Stück das Schicksal des Arztes
ins Typische erhöht, stilisiert. Und darum müßen Sie begreifen, wie sehr ergriffen
ich von Ihrem
Stück war, wie
ich
|es mit der ganz tiefen Dankbarkeit in mich aufgeno
mmen habe, als sei mir ein unbekanntes Stück meines
eigenen Lebens gedeutet worden. Und deshalb sind Sie mir, verehrter Herr Doctor, auch
nicht böse, wenn ich – ungeru
fen, und still wieder gehend – ko
mme, um Ihnen das zu sagen!