wie sehr mich Ihre guten und lieben Worte erfreut haben, kann ich Ihnen
schwer schildern; denn Sie sind es ja gewesen, der mich und meine ganze Generation
künstlerisch gesäugt hat – die Kühnheit dieses Bildes bedrückt Sie hoffentlich nicht!
– und es i
st kaum vorstellbar, was aus uns geworden wäre, wenn wie Sie,
Gustav Mahler und
Hugo Wolf nicht gehabt hätten, zu denen ich als
Re
spondizierenden auch noch
Kainz rechnen
möchte. Ich bin mein ganzes Leben lang
viel mit Ihren Gestalten umgeben gewesen und namentlich
Herr v. Sala war es, der mich oft und oft
auf meinen
Wienerwald-Spaziergängen begleitet
hat. Es gibt kaum eine Frage meines Lebens, die ich nicht mit ihm durchgesprochen
habe und oft habe ich mich auch über ihn ärgern mü
ssen, weil er gar nicht meiner
Ansicht war und sich zuweilen in der nichtsnutzigsten Art über mich lu
stig gemacht
hat. Aber das war heilsam. Und das mei
stzitierte Werk in meinem Hause i
st jedenfalls
»
Literatur« gewesen, das mich, so hoffe ich
wenig
stens, vor mancher kleinen Geschmacksentgleisung bewahrt hat. So haben Sie also
auch noch ungemein pädagogi
sch gewirkt!
|Manches Jahr habe ich mir gewünscht, Ihnen das einmal
persönlich zu sagen, dann aber davon absehen gelernt. Denn es wäre nur auf Grund
gemeinsamer gesellschaftlicher Beziehungen möglich gewesen und davon halte ich nicht
sehr viel. Es kommt dabei kaum jemals etwas Menschliches
heraus und wird schließlich nur zu einer Serie von Verlegenheiten. Und am Ende ist es
einem Künstler wol lieber, wenn die Saat, die er in andern gesät hat, zu einer, wenn
auch noch so bescheidenen Frucht reift, als wenn ihm noch eine Dame versichert, wie sehr sie seine Werke bewundere! – –
Nur der freundliche Passus in Ihrer Karte: Sie wollten auch meine andern Arbeiten
kennnen lernen, veranlaßt mich, Ihnen mein kleines Buch »
Die Komödiantin Dora X.« zu schicken; son
st bin ich nicht so,
daß ich die Menschen mit meiner Literatur überschütte. Das Büchlein bitte ich Sie
, aber nur als Eisenbahnlektüre zu verwenden; zu viel mehr taugt es nicht. Es i
st ein nicht sehr tiefes
Problem, nicht sehr tief gefaßt und für mich höchstens dadurch bemerkenswert, daß
es
Jahre später in meiner Umgebung ziemlich wahr geworden i
st. Wie es denn offenbar den
mei
sten Schreibenden, den Kleinen wie den Großen, so ergeht,
|daß sie meinen, das Leben abzuschreiben, während es schließlich das Leben i
st, daß
sie ganz munter plagiiert. – –
Wenn ich aber vorhin von gemeinsamen Beziehungen sprach, die ich nicht für so wichtig
halte, so möchte ich doch einer gedenken, die mir lieb und teuer i
st und an die ich
denken mu
ss, so oft ich Ihren Namen höre: der Erinnerung an Ihre
Eltern, die ich beide noch
gekannt habe und namentlich an Ihren
Vater, der meine frühe
ste Kindheitserinnerung bildet. Man
sagte mir, da
ss er mich als 3jähriges Kind von einer schweren Diphteritis errettet
habe und es i
st meine er
ste Erinnerung überhaupt, wie er mir i
mmer eine Schokolodebonbon auf einen Löffel Chinin tat,
da
ss ich das bittere Zeug nehmen sollte. Wieviel i
st seither vorbeigegangen und
vergessen worden, aber das Bild i
st mir geblieben! – – Im Nachlaß meiner
Eltern fand ich
später ein Tagebuch meines
Vaters aus dem Jahre 1863, in welchem viel von
↓einem
Briefwechsel mit↓ dem Ihren die Rede i
st – sie waren ja Kollegen, wie ich
weiß, schon vom
Schottengymnasium her oder minde
stens vom er
sten
Jahre Medizin. Ich habe oft nach Briefen gesucht, aber nichts gefunden – nur diese
Karte fand ich einmal und schicke sie Ihnen. Trotz
|des
belanglosen Inhalts grüßt Sie vielleicht eine liebe und vertraute Schrift! –
Bitte, lächeln Sie nicht über diesen langen Brief als Antwort auf Ihre Karte –
Herr v. Sala täte es, sein
Schöpfer i
st hoffentlich milder – aber ich habe ihn jahrelang »verdrängt«, um mich
ganz modern auszudrücken, und einmal mußte er doch geschrieben werden. Ihre
freundlichen Worte sind ein Anla
ss dazu. Möchte Ihnen das silberschi
mmernde
Dänemark
viel Liebes und Freundliches geben! Seien Sie nochmals bedankt und begrüßt von
Ihrer
Therese Rie.