Mein lieber und verehrter Freund, es trifft sich gut, daß ich Ihnen
auf Ihren letzten Brief noch zu antworten habe, so darf ich, ganz nebenbei und
gewissermaßen unabsichtlich die Gelegenheit benutzen und Ihnen zu Ihrem
80. Geburtstag Glück wünschen, von dem Sie natürlich nichts hören wollen. Aber wenn solche Daten auch nicht viel Sinn haben, – man darf zu
einem solchen Tag rückhaltloser derart allerlei
aussprechen, was sonst vielleicht pathetisch oder sentimental klänge, und so erlauben
Sie mir nur ganz einfach hier niederzuschreiben, daß unter den Menschen, die älter
sind als ich – und denen ich nicht eben durch die engsten verwandtschaftlichen Bande
verknüpft war, kaum Einer ist, dem ich so von Herzen und von Geiste zugethan war und
bin als Ihnen, Georg Brandes – und der mir – nicht nur durch seine Werke, sondern
durch sein Sein, sein Dasein, – mein Bewußtsein von
seiner Gegenwart |in der Welt so viel gegeben hat
als Sie! Möchten Sie doch allen die Sie lieben und bewundern, noch lange erhalten
bleiben, – und möchte es das Schicksal fügen, daß wir einander wieder einmal
persönlich begegnen.
Was in jenem »
Interview«
gestanden, weiß ich natürlich nicht; – mir war es bisher ganz unbekannt, daß mich
ein
daenischer Journalist interviewt hat; –
es waren 2 oder 3 Herren aus
Daenemark im Lauf
der letzten Jahre bei mir, und ich habe
↓mich↓ mit ihnen
↓über allerlei↓ unterhalten, – hoffentlich war das, was diesen
Besuchern in Erinnerung verblieben, nicht so confus wie das
Zeug, was ich
gleichfalls als »Interview« mit mir, vor einem Jahr in einer
amerikanischen Zeitung zu lesen bekam – Nun Sie haben wohl
ähnliche Erfahrungen gemacht. Es freut mich schon aus Ihrem Brief zu entnehmen, daß
ich immerhin über
|Sie, lieber Freund, nichts
böses geäußert zu haben scheine.
Mit dem »
Reigen« hab ich freilich allerlei
dummes erlebt; – was mir aber kaum nah gegangen ist. Das schli
mmste erfährt man ja immer (auch das wird Ihnen nicht neu
sein) nicht von den Gegnern, – sondern von den Freunden, – die den bessern Theil der
Tapferkeit, die Vorsicht wählen. Aber es ist schon wahr, – unter den zahlreichen
Affairen meines Lebens, ist es wohl diese letzte, in de
en↓r↓ Verlogenheit, Unverstand und Feigheit sich selbst übertroffen haben. (Dabei
gesteh ich ohne weiteres zu, daß gegen die
Aufführung
des »
Reigen« immerhin auch ehrliche Einwendungen
möglich sind – aber
diese↓solche↓ ehrlichen und discutabeln Einwendungen sind eben in hundert Fällen, wo sie
auch und besser am Platze gewesen wären,
nicht
erhoben worden.) Ich lege hier übrigens einen
Artikel bei – das einzige Document, in dem ich
selbst
mich
↓persönlich↓ zu Worte habe kommen lassen; – er erklärt
sich selbst.
|Meine beiden
Casanova-Sachen, das Lustspiel »
die
Schwestern« und die Novelle »
Casan.
Heimfahrt« sind so entstanden, daß mir zwei Stoffe, die schon geraume Zeit
unter meinen Papieren lagen, durch die Lectüre der
Casanova Memoiren plötzlich lebendig geworden sind. Die
Beschäftigung damit bedeutete keine bewußte Abkehr von der Zeit. Zu den Ereignissen
selbst hätt ich natürlich geschwiegen – gelegentlich mußte man sich nur melden, um
gegen eine Verläumdung oder gar gegen Mißbrauch seiner Unterschrift zu protestiren – Überraschungen hab ich eigentlich
nicht erlebt, – die existiren für Unser Einen doch wohl nur in quantitativer
Hinsicht.
Die Zustände in
Wien sind übel genug, – die
Preissteigerungen phantastisch 1000–2000 fach; – dabei ungeheuer viel Luxus; – und
mehr stilles Elend als sichtbares. Die denen es am schlechtesten geht, halten weder
Umzüge noch plündern sie. Wie es weiter gehen soll, weiß niemand. Wirkliche
|Hilfe ka
nn natürlich
von außen – auch durch die berühmten Credite, nie und ni
mmer kommen; – es müßten die außerordentlichen inneren
↓national-↓oekonomischen Möglichkeiten unseres Landes mit Energie und ohne
jede Rücksicht auf
↓partei↓politische
und Interessen ausgenutzt werden; – aber vielleicht ist
es heute schon zu spät dazu. An ein Zugrundegehen von
Wien glaub ich nicht (etwa im Sinne von
Venedig –), aber als was es sich erheben und wieder emporblühen soll – und
wann, das vermag ich nicht vorauszusehen. –
In meinen äußeren Verhältnissen –
da wo sie schon die
innern sind hat sich manches verändert. Von meiner
Frau bin ich geschieden, – aber wir sind
gute Freunde geblieben, – ja in der letzten Zeit wieder geworden, könnte man besser
sagen. Sie lebt vorläufig in
Salzburg, war aber in
den letzten Tagen in
Wien, und Sie können kaum
glauben, wie viel wir gerade von Ihnen gesprochen haben. Mein
Sohn, der
|heuer zwanzig wird, zeigt sich in
theatralibus theoretisch und praktisch recht begabt, – auch
musikalisch leistet er etwas. Dabei fehlt aber jede
falsche Tendenz ins selbstschöpferische, – d. h. er dilettirt weder als
Dichter noch als Componist. Ich glaube er ist der geborene Regisseur – und andre
glauben es auch. Seine Hauptbeschäftigung ist jetzt
Shakespeare; eben hat er eine Inszenierung von
Maß für Maß gemacht – er arbeitet in der
Hofbibliothek – jetzt
Nationalbibliothek, – und hat auch an der
Wanderbühne schon kleinere Rollen gespielt. – Meine Tochter
Lili, zwölf vorbei geht ins Gymnasium; –
declamirt die
Jungfrau von Orleans, schreibt
»Geschichten«, – und verwickelt mich jeden Morgen in die schwierigsten Gespräche über
Gott und
↓den↓ freien Willen. Aber Landschaft, Schwimmen und
Milchchocolade ist ihr glücklicherweise doch noch wichtiger.
Und von mir selber wenn Sie erlauben schreib ich Ihnen
nächstens. Freundschaftlich treu
Der Ihrige wie immer Arthur Schnitzler