Es war mir eine Freude, von Ihnen zu hören, eine noch grössere, dass Sie jenes schon
alte
Buch, das ich seit
1915 nie wieder angesehen habe, mit Befriedigung gelesen. Welcher
Fluch für mich, eine Sprache zu schreiben, die Niemand versteht. Ich möchte Ihnen
so
gern die späteren Bücher,
Voltaire,
Cäsar,
Michelangelo zugeschickt haben. Auch was ich in der letzten Zeit über
Homer geschrieben.
Ich weiss nicht, ob Ihre Zeitungen davon gesprochen, dass (weil es am
3. November 50 Jahre her war, dass ich meine ersten Vorträge an der
Kopenhagener Universität hielt) hier grosse
Feier waren, Fackelzug der Studenten
|und anderes. Es würde mich vor
40 Jahren sehr erfreut haben.
Am
15. Januar soll ich vor der Aufführung von
Tartufe von der Bühne des
Dagmar-Teaters über
Molière reden. Am
19 wieder an die
russischen
Schauspieler
französisch reden.
Dann verschwinde ich Ende dieses Monats für einige Zeit. Ich will mich wahrlich nicht
zu meinem 80 Geburtstag Glück wünschen lassen. Die Lächerlichkeit wäre zu gross.
Ich las hier einmal im Herbst in einer Zeitung ein
Interview eines mir unbekannten
dänischen Journalisten mit
Ihnen, worin Sie sehr freundliche
Worte über
mich sagten, ich glaube die freundlichsten, die in jenem Blatte je über mich
gestanden haben.
Ich bleibe Ihnen immer verpflichtet und |verbunden. Der Genuss, den ich
durch das Lesen Ihrer Werke gehabt habe, ist hundert Mal grösser als das mögliche
Vergnügen, das Sie durch meine nur belehrenden Bücher gehabt haben können.
Ich sah durch dies
Interview,
wie viel Unannehmlichkeiten Sie durch das alte, nur scherzhafte und witzige,
Reigen gehabt haben. Der jetzt überall glühende Antisemitismus und die Tugendbolderei
↓geben↓ im Verein
geben
solche Resultate. Als ob die Menschen durch die Umstände dieser Zeit nicht genug
litten, gehen sie mit zehnfachem Eifer darauf los, sich gegenseitig das Leben noch
saurer zu machen.
Ich habe immer
Wien in meinen Gedanken, immer mit
Mitleid, Trauer und Dankbarkeit. Können Sie verstehen, das unser Freund
Beer-Hofmann sich
|mit solcher Leidenschaft an das
Judenthum krampft. Es hat mich im Grunde nie interessiert; nur wenn die Juden
verfolgt wurden, und wenn sie es werden, habe ich für sie heisses Mitgefühl, wie für
alle ungerecht unterdrückten. Ich kenne nicht einen einzigen hebräischen
Buchstaben. – Es scheint mir auch von ihm so
gewollt.
Ich denke mir, Sie haben sich in den späteren Jahren mit
Casanova beschäftigt, am meisten um sich nicht mit dem
Gegenwärtigen herumzuschlagen. Wenn der Einzelne seine Ohnmacht fühlt, nützt es ja
nichts mitzureden. Deshalb schweige ich selbst, wo ich viel zu sagen hätte. Ich habe
nicht
Frithiof Nansens praktische Begabung so
wenig wie sein Ansehen. Er ist durch den Krieg sehr gewachsen.
Ich bitte Sie Ihrer Frau
Gemahlin meine Huldigung, Ihren
Kindern meine Sympathie zu überbringen.
Ihr Freund
Georg Brandes