Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 2. 8. 1918

mein lieber und verehrter Herr Brandes,

ich lese vom Tode Peter Nansens, und habe das Bedürfnis irgend jemandem zu sagen, wie tief mich das Hinscheiden dieses liebenswerthen Menschen bewegt, den ich zuletzt kurz vor Ausbruch des Kriegs bei mir in Wien gesehen habe – schon recht verändert, ja irgendwie gezeichnet – aber doch noch von dem ganzen Zauber seines Wesens umwittert, den ich, fast mehr als aus seinen reizvollen Büchern, aus seinem Gehaben, seiner Art zu sprechen, seinem Schweigen, seinen Blicken zu spüren vermeinte. Nun fügt es der Zufall, daß ich mir gerade in der letzten Zeit Ihre Briefe, lieber und verehrter Freund abschreiben ließ – einige, mit Bleistift geschrieben, waren fast unlesbar geworden, – und nun, da ich sie, vom ersten bis zum letzten, – mit welchem Vergnügen! – wieder durchnahm, fand ich öfters Peter Nansens Namen wiederkehren; auch von seinem Kranksein ist die Rede darin, und da liegt es nahe mich mit meinem Beileid, – meinem Leid an Sie zu wenden, der Nansens Freund war und für mich zugleich, und für die meisten Mitlebenden, |der repraesentative Mann Daenemarks ist. Und ich benutze die Gelegenheit Ihnen wieder einmal, über diese zerrissene und stöhnende Welt hinweg, die Hand zu drücken um Ihnen zu sagen, mit welcher Sympathie, ja darf ich es etwas sentimental ausdrücken –: mit welcher Sehnsucht ich Ihrer gedenke! Von Ihren letzten Büchern haben Sie mir geschrieben;– vom Goethe und Voltaire;– sie existiren noch nicht in deutscher Sprache, – und nun werden Sie wohl auch Ihren Julius Caesar bald abschliessen. Aber wann werd ich Ignorant, der nicht daenisch versteht, sie endlich lesen dürfen? – Auch ich hab allerlei gemacht – nicht so bedeutungsvolles! – und nach meiner alten zudringlichen Gewohnheit werd ich Ihnen ein Stück und eine Novelle zusenden, sobald sie gedruckt sind. – Aber wann werden wir einander wiedersehen? Lassen Sie mich doch bald wieder – und wärs nur mit einem Wort, wissen, daß Sie sich wohl befinden und Ihre edle Stirn über den Dunst und Dampf dieser Jammerwelt in |reinere Lüfte emporzurecken vermögen. Ihnen im neutralen Land ist es doch immerhin leichter als uns. In meiner Familie geht es ganz leidlich; mein Bub (wird 16) meine Tochter (wird 9) entwickeln sich in jeder Hinsicht gut; meine Frau hat wohl unter den häuslichen Kriegswirtschaftssorgen wie jede u jeder etwas gelitten, trotzdem aber ihre Kunst nicht vernachlässigt, ihre Stimme entwickelt sich aufs schönste. Nun ist sie bei ihrer Schwester in Bayern (Partenkirchen) wohin ich Mitte dieses Monats auch zu fahren gedenke. Über politisches kann ich mich in einem Brief nicht so ausführlich äußern als ich möchte – wie complicirt gerade bei uns all diese Probleme sind, ersehen Sie aus jeder Zeitung, selbst aus dem censurirtesten Wiener Blatt. Und trotz aller Schwierigkeiten – Misslichkeiten – Unsicherheiten: wie viel Auftrieb, Stimmungskraft, Talent – welche positive Möglichkeiten in diesem Land, das vielleicht nicht |alle seine Bewohner als »Vaterland« aber jeder als »Heimat« liebt. Ich muß hier innehalten – trotzdem ich daran bin, viel freundlicheres über Oesterreich zu sagen, als es selbst unsere officiösen Zeitungen zu thun pflegen.
Bitte bestätigen Sie mir bald den Empfang dieses Briefes und erhalten Sie mir und den Meinen Ihre Freundschaft.
Von Herzen
Ihr
 Arthur Schnitzler
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