den
fünfzehnten Mai, von
Perugia nach
Rom fahrend,
stundenlang
still neben dem
Chauffeur, habe ich mit rechter Herzlichkeit an Sie gedacht
und aus den vielen Jahren un
serer Freund
schaft i
st unzählbar Vieles an mir
vorübergeflogen, Augenblicke die Ihnen wohl ent
schwunden
sind und in welchen mir Ihr
We
sen oder wie
soll ich’s nennen: das Gefühl des Lebens, vermittelt durch das Ge
sicht
eines Men
schen, durch einen Blick aus den Augen des andern –
sehr nahe kam und die
ich nie verlieren werde,
solange ich lebe. Viele Men
schen
sind mir
seitdem nahe
geko
mmen, auch jetzt noch bin ich nicht abge
stumpfter,
nicht unempfänglicher für die Annäherung eines Men
schen, aber das kann mir wohl nie
wiederkommen, was damals die Verknüpfung mit Ihnen und
Richard zuer
st mir
schenkte. Für mich
↓vor
allem↓ war es ein Augenblick, de
ssen
|gleichen
nie wiederkommen konnte. Frühreif und doch unendlich unerfahren trat ich aus der
ab
soluten Ein
samkeit meiner frühen Jugend hervor – da waren Sie für mich nicht nur
ein Men
sch, ein Freund,
sondern eine neue Verknüpfung mit der Welt, Sie waren
selb
st
für mich eine ganze Welt –
so genug verwandt meiner
eigenen, da
ss ich alles darin le
sen konnte wie ein
schönes anziehendes Buch, genug
fremd, da
ss mich alles daran verwunderte, reizte, durch Geheimnis anzog, durch
seine
Mi
schung von Trauer und Fröhlichkeit, von großer Schwere und gei
stiger Leichtigkeit
bezauberte. Tau
sende von Begegnungen haben ihr Gewicht in die gleiche Schale getan,
Ihre Bücher
sind geko
mmen eins nach dem Anderen – und
alles i
st geblieben wie in jenem er
sten Jahr. Nie in die
sen zwanzig Jahren war es mir
gleichgiltig Ihnen zu begegnen, nie habe ich mit Gleichgiltigkeit die Seiten in einem
Ihrer Bücher umgewandt.
|Das große Glück und das unauflösliche Geheimnis, von
einem Wesen, das zur gleichen Zeit lebt, gleichzeitig die rein geistige Einwirkung
des Dichters und die menschliche des Menschen zu erfahren, – hinter jedem geistigen
Product den Menschen zu fühlen, dessen Nähe mehr sagt als die Zeilen enthalten
können, – andererseits das Hin- und Wieder des freundschaftlichen Verkehrs, das dem
Andern Abgeschaute und Abgefühlte sogleich in Kunstwerken vergeistigt und erhöht
wiederzufinden – dies ist mir durch Sie widerfahren, und dies verbindet mich mit
Ihnen in einer Weise die mir teuer ist, so teuer dass ich dies nicht in viele Worte
auseinanderlegen könnte noch wollte, weder heute noch an einem späteren Tag.
Meine Gedanken über dieses Alles waren viel reicher an Umfang und an Tiefe, als ich
es jetzt hier ausdrücken kann, aber eben darum war es mir ganz |unmöglich, ja selbst in Gedanken fernliegend, Ihnen in
eben diesen Tagen zu schreiben. Ihrer Natur liegt alles Demonstrative so fern, dass
Sie dies ohne weiteres verstehen.
Hier her zurückgekommen, vor 5 Tagen, war das Packet von
Fischer mit Ihren
erzählenden
Schriften das er
ste, was mir in die Hand kam. Ich blätterte irgend einen Band
auf, las da und dort eine halbe Seite, alles i
st mir ja
so wohlbekannt, da
ss ich die
Erzählungen nach vorne und rückwärts im Flug ergänzte und alles berührte mich mit
einer Vertrautheit als wäre es Ihr Ge
sicht das mir entgegen
sähe und alles
schien mir
auch
so unabgeschlo
ssen im
schönen Sinn,
so nach vorne und rückwärts deutend,
so
fragend und in mich hinein
schauend, wie ein Ge
sicht. Dann er
st
schlug ich das
vorder
ste Blatt auf, das nun wirklich Ihr
Gesicht enthält, woran ich Tau
send kleine Züge habe
sich
bilden,
sich vertiefen
sehen, und das die
se Züge auf kleinem Raum
so treu und
gefühlvoll wiedergibt, und unver
sehens
stürzten mir
|Thränen aus den Augen, ein Weinen
seltener Art, woran gar nichts
schmerzliches,
sondern nur etwas vielverknüpfendes war.
Wie leben Sie, mein lieber Arthur, und wo leben Sie? Seid Ihr hier – wie ich es hoffe
– dann kommt jetzt bald einmal zu uns, laßt dieses eine Mal im Jahr nicht auch aus
unseren Gebräuchen verschwinden –
Ich wäre sehr froh über eine Karte oder einen Anruf. Jeder Tag ist uns recht.
Von Herzen Ihr Hugo.