Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 14. 9. [1908]

|Ramgut 14 IX.
Aussee Steyermark

mein lieber Arthur

ich war sehr froh, aus Ihrem Brief und noch ausführlicher durch Wassermanns Berichte zu erfahren, einen wie guten friedlichen und erfüllten Sommer Sie gehabt haben. Der meinige war vom August ab nicht ganz so gut. Ich habe von der Luft im Engadin die mir nicht zuträglich war, eine Nervendepression |mitgetragen, oder Nervenirritation die besonders peinlich war, solange sie sich sozusagen latent mit dem Normalen der Existenz mitschleppte – und die schließlich zu einer ziemlich peinlichen Art von Krise führte, damit aber auch abzuklingen anfing, so dass ich nun hoffen kann den letzten Act der Comödie entweder hier oder auf dem Semmering oder in Rodaun mit so viel Freiheit und Munterkeit zu Ende zu |bringen, als er seiner Natur nach braucht.
Ich habe damals, als es mir unanständig erschien, ein negatives Verhältnis zu einer Ihrer Arbeiten zu verschleiern, den Ausdruck »verstören« gewählt, weil er mir keine Kritik zu enthalten, sondern nur eine subiective Verfassung des Lesers auszumalen schien. Aus Ihrem Brief sah ich dann, dass das Wort leider Gottes für Sie doch einen offensiven |Beiklang gehabt hatte.
Wenn je ein Mensch in den andern hineinschauen könnte, wenn Sie in mich hineinschauen könnten im Augenblick wo ich etwa allein auf einem Spaziergang oder in meinem Zimmer an Sie denke, an Sie, worunter ich hier ein Gesamtwesen aus dem lieben guten Menschen und dem geistigen Phantom, das hinter den Arbeiten steht, begreife – so wäre die Möglichkeit dass ein Wort von mir Ihnen auch nur ein bischen wehthut, überhaupt ausgeschlossen.
Ich freue mich sehr auf Sie.
Ihr
 Hugo.
    Bildrechte © University Library, Cambridge