Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 9. 8. 1904

|Wien, 9. 8. 904,
lieber Hugo, über Bahr glaube ich Sie beruhigen zu können. Er war Sonntag bei uns, dann haben wir zusammen im Türkenschanzpark genachtmahlt und er war in der besten Stimmung. Morgen holen wir ihn Abends ab und fahren ins grüne. Die Hitze thut ihm im ganzen wohl; und wie er sagt, fühlt er sich durch allmäliges Steigen eher angenehm erleichtert als dass er Beschwerden davon hätte. |Seelische Depressionen wirken auf seinen phys. Zustand am heftigsten: so war er nach dem Tod Herzls kränker als seit lang, und nach irgend einem Aerger neulich hat er wieder dieses Würgen ein paar Mal gehabt, das aber nun ganz verschwunden scheint. – Könnte man ihn doch nur dazu bringen, dass er heuer die verschiedenen Erregungen des Winters u den Winter selbst nicht zu Hause abwartet und zu guter Zeit und mit ruhigem Gemüth |nach dem Meere, dem Süden abreist! –
Meinen Brief von neulich haben Sie wohl bekommen? Ich wünsche Ihnen sehr, dass eine günstige Erledigung vom Militär eintrifft! –
Mit dem Arbeiten gehts weiter leidlich, ja gut. Mit der stärksten Antheilnahme, die auf irgend einen tieferen Grund schließen läßt, in den ich noch nicht ganz hinabblicken kann, lese ich im Vehse |Die Zeit des fünften Carl. Seite für Seite hat man die Empfindung: Undramatisirter Shakespeare. –
– Die Hebbel Tagebücher habe ich nun zum zweiten Male gelesen; meine Bewunderung ist womöglich noch gestiegen – aber menschlich hab ich mich von ihm diesmal entfernt. Es ist ein prachtvoller Geist, in beinah ununterbrochener Arbeit; aber man dürfte das ganze auch von 1863 nach rückwärts lesen – ohne dass Verständnis |oder Genuss darunter litte. Was mir die Gesellschaft von weit geringern manchmal werther macht als die seine ist dass es mir erlaubt ist einer Entwicklung zuzuschauen, und das ist doch immer das schönste und packendste, was wir erleben können. Es ist unheimlich in einem Menschen auch blättern zu können wie in einem Aphorismenbuch. Wenn mir ein Band aus einer Existenz fehlt, möchte ich vor |dem nächsten wie vor einem Wunder stehen müssen u fragen: Wie bist du dahin gekommen –?
Leben Sie wohl und schreiben Sie mir.
Sagen Sie auch Wassermann, falls Sie ihn sehen, dass wir hier das Los der Juden mit großem Vergnügen gelesen haben. Es ist ein schönes Vorwort zu einem Buch das heute glaub ich keiner schreiben kann, weder Christ noch Jude. –
– Und wird Richard bald |fertig mit dem Stück? Wie gehts ihm?
Grüßen Sie Alle.
Herzlichst Ihr
A.
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