Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 11. 6. 1901

|Lieber und verehrter Herr Brandes,

ehe ich wieder einmal auf Reisen gehe – das geschieht heute Abend und wahrscheinlich für einige Monate, will ich Sie noch herzlich grüßen und Ihnen für Ihre Nachrichten aus Abazia danken, das Sie übrigens rascher verlassen haben, scheint mir, als Ihre Absicht war. Dass ich Sie |nicht wenigstens auf ein paar Minuten zu sehn und zu sprechen bekam, auf der Rückreise, thut mir leid. Sie entschuldigen sich, dss Sie mir die Zeit geraubt haben – als wenn Sie nicht wüßten, dass ich Ihnen von ganzem Herzen für die Stunden danke, die Sie mir widmen. Muss ich das wirklich erssagen?– Dass das Geld pünktlich angekommen ist, ersehen Sie daraus |dass Sie weder Mahnbriefe noch einen Pfändungsauftrag bekommen haben. Richard Beer H. ist am Wörthersee, in Pörtschach, Villa Arnstein, u. wird wohl den ganzen Sommer dort bleiben. Ich fahre vor allem nach Salzburg und weiss kaum, was ich weiter unternehmen werde. Ich bin sehr erfüllt von einem schönen Stoff, einem in heutiger Zeit spielenden |Trauerspiel – und möchte das Stück gern irgendwo im grünen und stillen beginnen und zu Ende führen. Ich freue mich, dss Sie die Novelle vom Lieutenant Gustl amüsirt hat. Eine Novelle von Dostojewski, Krotkaja, die ich nicht kenne, soll die gleiche Technik des Gedankenmonologs aufweisen. Mir aber wurde der erste Anlass zu der Form durch eine Geschichte |von Dujardin gegeben, betitelt les lauriers sont coupés. Nur dass dieser Autor für seine Form nicht den rechten Stoff zu finden wußte. –
Verbringen Sie einen angenehmen Sommer und lassen Sie wenn Sie gelaunt sind, einmal eine Zeile an mich gelangen. Ich will Ihnen bald schreiben, wo ich zur Ruhe gekommen |bin. Leben Sie wohl. Von Herzen
Ihr
ArthurSchnitzler
Wien, 11. 6. 901.
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