|Mein lieber und verehrter Herr
Brandes,
schon vor einigen Tagen las ich in einer Zeitung, da
ss Sie
sich wieder leidend befinden und in ein
Sanatorium gegangen wären; aber nach dem ganzen Tun u auch nach der
Schrift Ihres Briefes
scheint mir, da
ss die Krankheit diesmal leichter auftritt als
die er
sten Male, und hoffentlich
stehn Sie bald wieder auf und
sind endlich ganz
ge
sund. Es i
st gewi
ss ein gutes Zeichen, wenn Recidive in abge
schwächter Form auftreten;
|ich wün
sche von Herzen, da
ss es das letzte i
st. –
Sehr bedauert hab ich d
ss ich in
Abbazia Ihren
Ab
sagebrief fand nicht Sie
selb
st. Ich habe auf der
dalmatinischen Rei
se mei
st
schlechtes Wetter gehabt; nur in
Ragusa zwei
sonnige Tage; überdies gerieth ich
anfangs in einen Balneologencongre
ss, de
ssen Mitglieder Schiffe und Hotels füllten, von
denen ich auch manche per
sönlich kannte, es war ziemlich unangenehm. Unter
solchen
Halb
|bekannten
sein i
st die
schli
mmste Form – der Ein
samkeit, nicht der Ge
selligkeit. Von
Abbazia aus, wo es ununterbrochen regnete,
flüchtete ich bald nach Hau
se. Das
schön
ste was ich mitbrachte, i
st die Eri
nnerung an die Trümmer von
Salona, ich ka
nn gar nicht ver
stehen, warum man
da nicht immer und immer weitergräbt; die Erde wegkratzen und die Vergangenheit
finden – wie ko
mmt es, d
ss darüber noch keiner wahn
si
nnig
|geworden
i
st? –
Auch die albernen Angriffe gegen Sie wegen Ihrer
Budapester Einleitung habe ich gele
sen. Es i
st ja wirklich gar nicht
ern
sthaft darüber zu reden. Und doch
scheint es, ka
nn man
die Empfindlichkeit gegenüber dem dü
mmsten, we
nn es nur einmal gedruckt i
st, nicht ganz verlieren. Ich
erinnere mich, wie ich
seinerzeit mit einigem Staunen im Briefwech
sel von
Goethe und
Schiller Denkmäler ihres Aergers über die nichtig
sten Scribenten antraf.
Seither
staune ich
|aber nicht mehr, we
nn ich
sehe, wie
sich zuweilen die Klüg
sten über die
Thörichte
sten ärgern. Die Philo
sophie hilft wohl gegen die Todesang
st, aber nicht
gegen Floh
stiche.
Da
ss Sie auch mir für
Wien danken, i
st zu
liebenswürdig; ich fühle, da
ss ich Ihnen, be
sonders diesmal, nicht viel
sein konnte.
Im Anfang waren die
se langweiligen Zahnge
schichten; und dann liegen die Schatten von
jenem traurigen Ereignis oft, und nun gar in die
sen Frühlingstagen
schwer auf meiner
Seele. Dazu kommen noch mancherlei zum
|Theil
nervö
se Dinge (aber nur zum Theil), über die ich nicht gern rede, haupt
sächlich ein
quälendes Ohren
sau
sen, an dem ich nun
seit drei einhalb Jahren ununterbrochen leide,
mit beginnender Ver
schlechterung des Gehörs – das macht mich natürlich auch nicht
viel froher. Immerhin arbeite ich
seit einiger Zeit mehr als je und mit einer
Empfindung – wenig
stens zuweilen – von innerer Fülle wie niemals früher. Ich bin
jetzt daran eine
Novelle zu
dictiren, die vor ein paar Wochen beendet wurde,
schreibe jetzt einige
|kleinere und möchte im Sommer eine Komödie
schreiben. Der
Schleier der Beatrice wird wahr
scheinlich im
Sommer↓Herbst↓ an der
Burg aufgeführt; wo ich aber mit
den neuen Sachen hin
soll die ich im Kopf habe wei
ss ich nicht recht. Es wird nemlich
kaum möglich
sein in der näch
sten Zeit etwas
wieneri
sches zu
schreiben, in das nicht die anti
semiti
sche Frage hinein
spielt –
und meine Art darüber zu denken wird weder den Chri
sten noch den Juden recht
sein. –
Das neue
Buch von
Bour|get ke
nn ich nicht, habe
schon lange nicht von ihm
gele
sen; auch das
Reisewerk
von
Lanckoronsky i
st mir noch unbekannt. Ich le
se jetzt – denken Sie! zum er
sten Mal – we
nn ich von einer Jugendbearbeitung ab
sehe – den
Don Quixote; da
nn ein vorzügliches
Buch über
Dante von
Federn, dem
selben, der den
Emerson trefflich
übersetzt hat.
Gibbon begleitet mich bereits längere Zeit.
Seit das Wetter
schön i
st, radl ich auch manchmal aufs Land, und für den Sommer hab
ich
|größere Touren auf dem Rad vor. Vielleicht
ent
schließen Sie
sich einmal, in der heißen Zeit ins Gebirge zu gehen; ich habe mich
schon darauf gefreut,
einmal mit Ihnen im Freien zu
sein, außerhalb von Stadt und Mauern herumzu
spaziren.
Vielleicht läßt es
sich gar machen, d
ss Sie,
Goldmann und
Beer Hofmann u ich irgendwo zu
sammentreffen, fern von allen Zeitungen – und am Ende auch von
aller »Lit
eratur«. –
Jedenfalls hoff ich Sie sagen mir bald wieder ein Wort, wies Ihnen |geht. Es ist eine meiner wirklichen Freuden, dass
Sie meiner mit Sympathie gedenken. Ich grüße Sie herzlich.
Ihr Arthur Schnitzler