Kopenhagen
30 April 1900
Verehrter Freund
Sie wundern sich vielleicht, gar nicht von mir gehört zu haben, da wir doch
verabredet hatten, uns zu treffen und uns jedenfalls in
Wien zu sehen. Aber eben wie ich eine Reise auf Kosten des
ungarischen
Staats durch die
ungarischen Provinzen antreten sollte, kam
meine alte Krankheit, die Venenentzündung, wieder, ich lag erst 3–4 Tage im
Hotel reiste dann nach
Kopenhagen und habe
also den ganzen Monat verloren. Ich habe mich ins Hospital eingelegt um
sorgfältige Pflege zu haben, die Entzündung schien schon zwei Mal erloschen, kam
aber dann wieder. Ich liege also vorläufig in dieser gelinden Tortur, das Bein
hoch und in der Schiene
|auf
dem Rücken immer in derselben Lage ohne mich weder rechts noch links drehen zu
können.
Dies ist der dritte Frühling, den ich nicht sehe (97,
99, 1900)
Die deutschen Blätter haben Dutzende von Schmähartikeln gegen mich enthalten,
weil ich in dem
Klub
in Budapest, aufgefordert, eine
französische Einleitung zu machen (was mir lächerlich vorkam),
einfach sagte »Die Sprache, deren ich mich bediene ist nicht die Ihre und nicht
die meine, nicht Ihre Lieblingssprache und nicht die meine, doch es ist die,
worin wir uns am leichtesten verstehen.« Das wird ein
hämischer Angriff auf
Deutschland
und die deutsche Kultur genannt. Und zwar von anonymen Bengeln, die nicht mehr
Antheil an die deutsche Kultur haben als ein alter Stiefel.
VDie Verachtung, die ich für die Journalisten
|hege, ist nach und nach so
gross, dass ich förmlich einen bitteren Geschmack im Munde davon habe, wenn ich
daran denke.
Ich bin Ihnen und
Beer-Hoffmann wie
gewöhnlich vielen Dank für
Wien
schuldig.
Sie beiden und
Gomperz’s Haus und
Lanckoronski waren dies mal mein
Wien. Ich habe Sie sehr lieb und freue mich,
dass wir Freunde sind.
Ich las jetzt im Bett einige Bücher:
Drames de famille, die
Bourget mir schickte trotzdem
er so katholisch geworden ist; die zwei grossen Erzählungen, die in unsern
nordischen Blättern übel
besprochen werden, gefielen mir sehr, wenn auch nicht die moralisirende
Schreibweise, doch Stoff und Ausführung. Dann las ich einen deutschen Roman, der
mir geschickt wurde und der mir gut scheint,
Wilhelm Hegeler,
Ingenieur Horstmann, eine
|sehr tüchtige
Leistung. Mit Interesse las ich
Balzacs Briefe À L’Etrangère d. h. an seine
zukünftige
Frau in der
ersten
vollständigen Ausgabe.
Es war amüsant, den Ton in
Lanckoronskis Rund um die Welt mit dem in unseres Freundes
Goldmann’s zu vergleichen.
Goldmann hat mehr Geist und Herz, der
Graf hat viel mehr gesehen und (erstaunlich!) er hat darin ein gutes lyrisches
Gedicht geschrieben.
Es ist trist, so oft und lange krank zu sein. Ich bin ganz ausser Stande, irgend
eine ordentliche Arbeit vorzunehmen, meine tägliche Arbeit besteht allein darin,
die Ausgabe meiner
Sämmtlichen
Schriften zu verbessern und zu corrigiren.