ge
stern hab ich Ihren Brief bekommen und aus dem erfahren, d
ss Sie wieder zu
Bette liegen. Abends
stand es in
einer
Berliner Zeitung zu
le
sen, mit dem Bei
satz, d
ss Sie
sich
schon auf dem Weg der
Be
sserung befinden. Ich hoffe, da
ss es
sich
so verhält und da
ss Sie bald ganz
ge
sund
ist↓sind↓. Meine innig
sten Wün
sche
sind bei Ihnen,
|das wi
ssen Sie. Auch von Ihrem Streit mit
den Deut
schen hab ich durch die
Zeitung erfahren; Sie
sollen irgend einen Vortrag abge
sagt
haben, im Verein »
Berliner Presse«, aus »polit.
Gründen«. Fügen Sie Ihren Antipathien gegen
DePreußen und
Frankreich nur getro
st
↓die↓ gegen
Oesterreich bei. Le
sen Sie manchmal
Wiener Zeitungen, Parlaments- und
Gemeinderathsberichte? Es i
st
staunenswerth, unter was für Schweinen wir hier
leben; – und
|ich denke i
mmer,
selb
st Anti
semiten müßte es doch auffallen,
da
ss der Anti
semitismus – von allem andern abge
sehen – jedenfalls die
sonderbare
Kraft hat, die verlogen
sten Gemeinheiten der men
schlichen Natur zu Tage zu
fördern und
sie aufs höch
ste auszubilden. Wie merkwürdig, da
ss
sogar die
offenbaren Mängel, Fehler, meinetwegen Verbrechen der Judenpre
sse, die man als
so
spezifi
sch jüdi
sch hin
stellen wollte, von der Anti
semiten
|pre
sse ins ungeheuerliche ausgebildet worden
sind. Aber wir wollen über die
se widerlichen Dinge lieber gar nicht reden.
Ich freue mich, d
ss das »
Vermächtnis« einigen
Beifall bei Ihnen gefunden hat. Mir
selb
st i
st nur der er
ste Akt lieb; dann
gewi
sse Partien des letzten. Solange die Hauptper
son auf der Scene i
st, hab ich
das Stück nicht gern. Die i
st ganz unper
sönlich geblieben find ich. Während der
Proben fiel mir mancherlei ein, wodurch ich das Stück hätte höher bringen
können; vor allem hätt ich das Kind
|mü
ssen
am Leben la
ssen; – aber es
scheint ich bin nicht an
ständig genug, um ein Stück
noch auf der Probe zurückzuziehn,
selb
st we
nn ich
wei
ss, wie es be
sser zu machen wäre. Es hat in
Berlin un
d Wien bei der Er
staufführung viel Erfolg gehabt;
in
Berlin ver
schwand es bald; hier
scheint es
sich zu halten. Irgend eine Zukunft hat es gewi
ss nicht – und wahrhaftig nicht
nur wegen
seiner Traurigkeit –! – Nun hab ich was ge
schrieben, das mir lieber
i
st; drei kleine
Stücke, von denen das
|eine »
Der grüne Kakadu«, das be
ste, großen
Schwierigkeiten begegnet. In
Berlin haben
sie
es verboten; – hier will die Hofcen
sur die unmöglich
sten Aenderungen. Es
spielt
am Abend der
Bastillener
stürmung zu
Paris – aber ich
soll den »Blutgeruch«
heraus
streichen. Auch da
ss ein Herzog umgebracht wird, will den Leuten nicht
gefallen. Ich freu mich Ihnen das Ding bald zu
schicken; es wird Sie
wahr
scheinlich amu
siren.
Und jetzt bin ich mit einer ganz phanta
sti
schen
|fünfactigen
Sache be
schäftigt; mir
scheint überhaupt als käme ich
jetzt in andere Gegenden. Wer wei
ss, ob alles bisherige nicht doch nur Tagebuch
war; wenig
stens von einer gewi
ssen Zeit an. (Denn früher einmal, von meinem 9.
bis zu meinem 20. Jahr hab ich ge
schrieben, »wie der Vogel
singt« – ich mu
ss
damals
sehr glücklich gewe
sen
sein; de
nn ich eri
nnere mich gar nicht, wie ichs eigentlich gemacht
habe. Ich habe noch manches; Trauer
spiele und Fa
stnachts
spiele und
|komi
sche Romane; nahezu durchaus blöd
sinnig;
aber ich habe
selb
st zu der Zeit, da ich die
se Dinge
schrieb, nie das Bedürfnis
gehabt, es irgend wem zu zeigen. So wird man zudringlicher, niedriger und
unfröhlicher von Jahr zu Jahr. –)
Hoffentlich
schwingt
sich
Beer-Hofmann auf, Ihnen
selb
st zu
schreiben; faul i
st er allerdings enorm. Sie wi
ssen
wahr
scheinlich nicht einmal, d
ss er geheiratet hat,
Paula, die Sie kennen
|auch hat er
schon zwei Töchter, die
Mirjam und
Naëmie heißen. Aber
seine neue
Novelle (was ich davon kenne
i
st wunder
schön) i
st noch nicht fertig.
I
st Ihnen ein Roman bekannt,
die Juden von
Zirndorf, von
Wassermann? Ich
glaube, das i
st derjenige Men
sch, der den
↓deutschen↓
Roman vom Anfang des näch
sten Jahrhunderts
schreiben wird. Sind Ihnen die
Novelletten zugeko
mmen, die ich Ihnen im Frühjahr
schickte?
|(»
Frau des Weisen«. –)
Von Ihrem Ausflug nach
Polen und Ihrem Empfang
haben wir hier gele
sen;
dagegen hab ich von Ihren
Gedichten ab
solut nichts gewußt
?↓.↓ Werden Sie
sie über
setzen la
ssen? Sind
sie
schön? Haben Sie
sie gern? Wie viele Stunden hat Ihr Tag! Zu allem haben Sie
Zeit. Und alles bewahren Sie auf, das i
st das Bewunderungswürdige, und darum
|sind Sie
so reich.
Ich wün
schte, Sie würden gleich ge
sund, rei
sten wieder nach
Italien, und blieben wieder ein paar Tage in
Wien. Ein Wort von Ihnen, wie’s Ihnen geht,
brächte mir jedenfalls viel Freude.
Herzlich grüßt Sie Ihr Ihnen
treuergebener
ArthurSchnitzler