Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 4. 10. 1898

|Dinstag 4. X. 98.
Mein lieber Hugo, heut vor der Probe hat mir Brahm Ihren Brief gegeben; er hat mir große Freude gemacht. Von dem Vermächtnis hab ich nicht viel Spass; die Sache ist die: Das Stück ist nur solang gut, als die »Heldin« nicht auf der Bühne ist. Erster Akt – und der dritte wieder, sobald sich das Frauenzimmer ins |Wasser stürzt. Da sind alle übrigen Figuren wie von einem Bann befreit, nachdem dieses Gespenst angebracht ist, und reden vernünftige, lebendige, menschliche, nahezu schöne Sachen. – Dabei ist mir heute passirt, während der Probe, dss mir das Stück ganz neu, in 5 |Akten, dramatisch eingefallen ist. Wär ich anständg, so zög ichs zurück, wie es jetzt ist.
Ich freu mich auf Ihre venez. Comödieso wäre ja der Theaterabend fertig. In Wien find ich Sie schon; ich komme wohl Mitte nächster Woche.
– Mein Ohr stört mich wieder mehr als je. Solch schleichende, |immer gegenwärtige u unaufhaltsame Dinge in uns sind doch die perfideste Art, wie Alter und Vernichtung sich ankündigen.
Leben Sie wohl. Das mit dem Thurm war ja nur ein Spass. Ich hab ja gar kein Recht, Ihnen einen Thurm zu schenken, der in Bologna steht. Und was für Scherereien hätten Sie an der Grenze!
Von Herzen Ihr
Arthur
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