|Zürich I, Schifflände 30, III. Stock
am
4. Oktober 1895
Lieber Doktor Schnitzler!
Wie Sie aus der Datierung ersehen, bin ich, dank Ihrer und
Beer-Hofmanns Hilfe, wieder im Besitze einer eigenen Wohnung. Ich danke Ihnen herzlich. Ich
wohne jetzt bei einer beka
nnten
Familie, zusa
mmen mit einem
Freunde, einem alten Herrn,
Wiener, Schwager von
Dreher in
Schwechat, der früher lange Jahre in
Amerika und
Deutschland ein gro
sser Fabrikant war, da
nn
fallierte und nun in seinen alten Tagen als Reisender eines Papiergeschäfts mühsam
sein Leben fristet. Wir haben zusa
mmen ein gro
sses
Wohnzi
mmer, ein Kabinet und einen Alkoven, wofür wir
50 francs zahlen – gewi
ss billig. Na, der Teufel wird schon weiterhelfen.
Ich hätte noch eine Bitte. Wären Sie so freundlich, bei
Beer-Hofmann nachzufragen, ob er vielleicht wieder einen
|alten Anzug hat; das Porto ka
nn ja nicht viel kosten.
Und ich bin absolut au
sserstande, mir selbst einen beizubringen. Seien Sie nicht
böse, und besten Dank im vorhinein.
Ich schreibe wirklich einen
Aufsatz für
Wengraf und
Osten und werde da
nn einen für die
Presse schreiben. Apropos
Presse: Dr.
Hirschfeld mu
ss ja jetzt
wieder in
Wien sein, und Sie kö
nnten
vielleicht bei Gelegenheit mit ihm sprechen, ob es sich nicht machen lie
sse, da
ss ich
für das Blatt die
Schweizer Korrespondenz, auch
über Politik und Volkswirtschaft, übernähme. Ich haben bego
nnen, mich in die Verhältni
sse einzuleben, und glaube,
da
ss ich genügen würde.
Da
ss
Mackay Ihnen gefallen hat, freut mich.
Auch ich habe ihn gern. Er hat, bei viel Schlauheit und einiger Reserviertheit, viele
liebenswürdige Seiten, vor allem eine sehr angenehme Naivetät. Naiv ist zwar auch
Henckell, dabei aber entsetzlich langweilig und
geistlos. Sie haben mich einen Antisemiten gena
nnt, aber
– mit Ariern verkehrt es sich wirklich zu schwer.
|Nehmen Sie mir meine neue Bitte nicht übel, grüßen
Sie
Beer-Hofmann,
Loris,
Hirschfeld etc von mir und seien Sie selbst herzlichst
gegrüßt
von
Ihrem
Fels
Was sagen Sie zu
Mackays neuestem
Buch? Erscheint bald wieder
etwas von Ihnen? Wie stehts mit der
Aufführung?
David ko
mmt also am
12. daran; ich bin
begierig.