|Meran-Obermais, den
23. Februar
1893
Lieber Dr. Schnitzler!
Soeben empfange ich Ihren Brief und beeile mich, ihn zu beantworten. Seien Sie jetzt
nur nicht so boshaft, diese Schnelligkeit allein meiner Langeweile
zuzuschreiben! –
Allerdings setze ich jetzt mehr Vertrauen in
Meran und seine Heilkraft und zwar weil ich ich letztere an meinem eigenen
Leichnam verspürt habe; de
nn entschieden geht es mir
schon etwas, we
nn auch noch nicht viel, be
sser. Ich fühle
mich im Kopf wohler, und meine Fü
sse schmerzen mich nicht mehr so sehr. Die beiden
letzten Tage habe ich sogar einen kleinen Spaziergang, ohne Rollwagen, versucht; und
heute will ich es unternehmen, wenigstens nach
Meran hinunter zu gehen.
Freilich pflege ich mich auch genügend. Ich ruhe sehr viel, und im E
ssen bilde ich
mich zum Wette
sser aus. Ein hiesiger Arzt pflegt zu derartigen Kranken zu sagen
»E
ssen Sie so, da
ss man Sie im ganzen Hotel nur den ›Fre
sser‹ ne
nnt«, und an diese Weisung halte ich mich auch, obwol es
nicht mein Arzt ist. Mit dem Wein ist die Sache etwas unangenehm.
|Der leichte rote Tyroler, den ich zu trinken pflege,
ist sehr taninhaltig und
bereitet mir Unterleibsbeschwerden. Wei
sswein soll ich nicht trinken, und die anderen
Rotweine sind furchtbar teuer. Ich habe mir jetzt so geholfen, da
ss ich mittags roten
nehme, in den Ihre Medizin ko
mmt, abends wei
sser: das
reine Gewebe der Penelope. – Dreimal täglich nehme ich jetzt auch
Gude’s Mangan-Eisen-Pepton-Essenz. Wollen Sie sich, bitte, darnach
erkundigen, und mir schreiben, was man davon hält. Da sie nämlich in der hiesigen
Apotheke nicht vorrätig war und erst aus
Leipzig
verschrieben werden mu
sste, sowie aus anderen Gründen glaube ich, da
ss sie ein ganz
neues Mittel ist und ich dem Dr
Schreiber als
Versuchskanichen diene. Es würde mich intere
ssieren, etwas zu erfahren.
Das Wetter ist nicht andauernd schön: einen Tag hat es geregnet; und am folgenden
Morgen lag sogar etwas Schnee, aber schon mittags nahm ihn die Sonne hinweg. Jetzt ist’s wieder; aber heizen muss ich mir
doch noch morgens und abends lassen. Natürlich trage ich Winterkleider und gehe nie
ohne Mantel aus.
Meine Gelder sind riesig zusa
mmengeschmolzen. Unter den
Wiener Auslagen, die ich Ihnen angab, verga
ss
|ich noch die Rechnung meiner
Wirtin, die auch gegen 10 fl betrug. So kam
ich mit 38 fl hier an. Davon habe ich in die Apotheke fl 7.40 und dem Badediener fl 4
(für 2 Wochen Baden und Frottieren) bezahlt; Sie kö
nnen
Sich denken, wie ich finanziell stehe. Auch habe ich in der ersten Woche, bei meiner
Unbeka
nntschaft mit hiesigen Verhältni
ssen, im Hotel
eine ziemlich gro
sse Rechnung gemacht, so da
ss ich auf Eingang von
Gelbers und
Steinbachs Sa
mmlung mit Sicherheit rechnen mu
ss:
sonst bin ich verloren. Beide sind übrigens bereits moniert. –
Bitte, richten Sie allen lieben Beka
nnten herzliche
Grü
sse aus:
Beer-Hofmann,
Loris,
Salten,
Engländer und we
nn Sie sonst noch jemanden treffen, und sagen Sie ihnen,
es möge mir der eine oder andere auch einmal schreiben. Ich schreibe ihnen nicht,
weil ich annehme, da
ss meine Briefe an Sie ihnen mitgeteilt werden. Für Ihre Wünsche
zu meiner Genesung dankend, verbleibe ich
Ihr
dankbar ergebener
Fels