Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 19. 7. [1892]

|Fusch. 19. Juli.

lieber Arthur,

an Ihrem guten und lieben Brief stört mich nur die Nachricht, wie viel Arbeit Sie sich jetzt zumuthen wollen. Deshalb wünsche ich für Sie sosehr den äußeren Erfolg, den Sie als Künstler vor sich selbst und vor uns gewiss nicht nothwendig haben, damit sich die Perspectiven, in denen Sie selbst und Ihr Vater Ihr äußeres Leben, Ziele, Pflichten und Stil der Lebensführung, anschauen, endlich ändern. Vorläufig ist es ja sehr gut, dass Sie nachts schaffen und so reich und lebhaft aufnehmen können, wie Ihre Hebbeleindrücke dies zeigen. Gewiss ist Hebbel ein sehr großer, tiefer und reicher Geist, mit den innerlichsten und eindringendsten |Anschauungen vom Wesen der Naturdinge und des Menschen, aufwühlend und anregend wie keiner sonst, sodassich einem die geheimsten, sonst erstarrten inneren Tiefen regen und das eigentlich Dämonische in uns, das naturverwandte, dumpf und berauschend mittönt. Eine Überschrift bei Goethe irgendwo: »Urworte; orphisch« suggeriert mir immer den Duft der Poesie Hebbels.
Papa ist befriedigend wohl und grüßt Sie, Bahr und Salten.
Ich habe mich vor einer gewissen inneren Öde und Abspannung in die Tragödie gerettet; eine 5 actige Renaissancetragödie, dramatisierte Novelle, äußerlich im Stil von Romeo u. Julie, für die wirkliche brutale Bühne gearbeitet, mit |großem, schlankem Aufbau und grellen Farbenflecken, Freskotechnik; ich hoffe vorläufig noch genug lebendige Psychologie in mir zu haben, um das große Gerippe mit lebendigem Fleisch zu umkleiden; ich arbeite ohne Scenarium, mit einzelnen, suggestiven Notizen; geschrieben habe ich bis jetzt ein paar Scenen aus dem 2ten und eine aus dem 5ten Act; das ist zwar nicht viel aber ich sehe alles andere recht deutlich und arbeite leicht. Was mich lockt und worauf ich eigentlich innerlich hinarbeite, ist die eigenthümlich dunkelglühende, dionysische Lust im Erfinden und Ausführen tragischer Menschen in tragischen Situationen; diese Lust, deren symbolisches Aequivalent etwa das Anhören |feierlicher, prunkvoll-trauriger Musik ist oder das Anschauen mancher Bilder der Renaissance, mit dunkelgoldnen Panzern und blassen schönen Profilen auf sehr finsterem Grund. Es wäre sehr schön, wenn Octobernachmittage würden, mit diesen zwei Lesepremièren. Wie weit ist die Familie? Richard schreibt mir, ungern und nur weil er von Papas Krankheit gehört hat; er ist verstimmt, arbeitet aber doch an einer seiner Novellen. Wann ist Ihre Waffenübung? was ist es mit der Verlagsanstalt für Anatol? lassen Sie sich doch ja nicht durch ganz gleichgiltige Misserfolge vom Weitersuchen abschrecken. Bitte, schreiben Sie mir bald, Briefe bekommen ist hier das lustigste.
Loris.
    Bildrechte © University Library, Cambridge