Stefan Zweig an Arthur Schnitzler, 3. 12. 1914

Wien, 3. Dezember 14

Sehr verehrter lieber Herr Doktor

Ich danke Ihnen viele Male für Ihren lieben Brief und das schöne Dokument Ihrer gerechten Gesinnung. Ich glaube, dass auch ein so gelegentliches Wort nur durch den Geist und die Güte, die es bezeugt, in diesen Tagen zum Manifest wird und zweifle nicht, dass es überall (ausser bei jenen Menschen, mit denen eine innere Verständigung über alles für uns unmöglich ist) die vorteilhafteste Wirkung im Gefolge haben muss. Ich habe es Romain Rolland gesandt und ihn gebeten, die Uebersetzung ins Französische womöglich selbst vorzunehmen, damit auch nicht ein Wort in seiner Bedeutung oder bloss in seinem Tonfall durch schlechte Nachbildung verändert werde. Ich bin sicher, dass er sich eine Freude daraus machen wird, Ihnen und vor allem der uns gemeinsamen Sache der gegenseitigen Aufklärung dienlich zu sein. In wenigen Tagen werde ich mehr darüber wissen.
Eine Veröffentlichung in Wien wäre vielleicht vorteilhafter, sobald der Abdruck in der Schweiz erfolgt ist und der Regierungsrat v. Winternitz würde sicherlich gerne die offizielle Verlautbarung übernehmen. Seine Privatadresse ist VIII. Kochgasse 29. Ich hoffe aber, ihn schon in diesen Tagen sprechen und mich seiner zweifellosen Zustimmung versichern zu können.
Ich wäre sehr glücklich, wenn ich Sie, verehrter Herr Doktor bald sehen oder wenigstens Ihre Stimme durch das Telephon hören dürfte. Ich bin jetzt |immer zwischen 4 und 5 Uhr zuhause, vorher hält mich der kriegerische Dienst, nachher verlockt mich jetzt oft und öfter die Musik. Aber ich will gern jede Stunde des Nachmittags von 4 Uhr, die Sie mir erlauben wollen, dazu wahrnehmen, um in das Cottage hinauszukommen oder wohin immer es Ihnen gutdünkt und Sie dann nicht nur Nachts im Traum, ohne Ihre Erlaubnis, sondern am lichten Tag, mit Ihrer freundlichen Verstattung heim zusuchen.
Ich beschäftige mich auch damit, für Ihre Frau Gemahlin ein paar schöne Lieder für jenen Liliencron-Abend zusammenzustellen, dessen Gelingen mich schon um des denkbaren Arbeiterpublikums willen so sehr freuen würde. Bishin vielen Dank und die herzlichsten Grüsse von
Ihrem immer getreuen
 [handschriftlich:] Stefan Zweig
Verzeihen Sie die Schreibmaschine! Ich schreibe den ganzen Vormittag im Amt und gebe dann meinern Fingern Rast!
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