Stefan Zweig an Arthur Schnitzler, [zwischen 5. 4. 1915–9. 4. 1915?]

Sehr verehrter lieber Herr Doktor, ich wäre sehr froh, wenn Sie nächstens einmal mir wieder eine Stunde mit Ihnen verstatten wollten: ich hätte gerne mit Ihnen über die Angelegenheit Unseres gemeinsamen Freundes Rosenbaum gesprochen. Immerhin sind Wir – wenn auch machtlos gegen solche Entschliessungen — der wesentlichste Teil der Interessierten und es ist die Frage, ob wir Uns ganz unbeteiligt zu einer solchen brutalen Entscheidung stellen sollten. Bis zu einem gewissen Grade glaube ich die »Reichspost« in dieser Sache zu spüren – inwieweit Dr R. im seiner Offenheit des Wortes Etwas verschuldet hat, vermag ich nicht zu entscheiden – und vielleicht wäre eine Form der moralischen Satisfaction für diesen vortrefflichen |Menschen zu finden, der nach siebzehn Jahren Tätigkeit cum infamia weggejagt werden soll. Ich weiss nicht, wie Sie in dieser Sache denken, doch ich zweifle nicht, dass sie auch Sie seelisch beschäftigt hat: mir scheint sie nicht bloss ein Einzelfall, sondern das Symptom einer Gesinnung, die sich jetzt schon mitten im Kriege entfaltet um dann nachher agitatorisch und aggressiv zu werden und der man vielleicht heute schon in Parade entgegentreten sollte.
Dr R. weiss selbstverständlich nichts von diesem Brief. Er tut mir sehr leid: das Burgtheater war schon so sehr der Sinn seiner Existenz und seines Fühlens geworden, dass er sich kaum jemals wird wieder ganz finden können.
In herzlicher Liebe und Verehrung Ihr getreuer
 Stefan Zweig
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