Stefan Zweig an Arthur Schnitzler, [29. 11. 1914]

Verehrter lieber Herr Doktor, Sie sind so gütig, meine bescheidene Meinung in dieser Sache anzufragen und ich sage sie aufrichtigst. Ich glaube nur der erste Teil der Berichtigung ist notwendig, der zweite bloss eben nur eine Richtigstellung einer Veränderung, die niemanden beleidigt. Und im ersten Teile hätte ich so gerne von einem Manne Ihrer Gerechtigkeit eines gesehen: ein Wort des Positiven, der Bejahung. Ich glaube, nie war eine Zeit besser für das Bekennen, nie es notwendiger, die Unerschütterlichkeit unserer innern Überzeugungen gegen gewisse Versuche aufrechtzuerhalten, den |politischen Constellationen unsere künstlerischen Empfindungen preiszugeben. Ich meine: es wäre schön und vorbildlich gewesen (und zugleich die stärkste, die schlagendste Berichtigung jeder Entstellung), wenn Sie an einer Stelle sagten, wie sehr Sie Tolstoi bewundern und auch Ihr Verhältnis zu France und Maeterlinck in künstlerischer Bejahung andeuteten. Ich glaube, wir müssen ein Beispiel bei jedem Anlass geben, zu zeigen, dass unsere Neigungen nicht ein Tauschgeschäft auf Gegenliebe sind, sondern unerschütterlich selbst durch Hass und Anfeindung. Gerade weil Einige versuchen, jeden, der gegen Deutschland heute auftritt, zu negieren, statt seine Argumente zu befeinden, müssen wir unsere Unabhängigkeit in der eigensten engsten Welt unseres Standes und Wirkens |mit sichtbarem Willen betonen. Nichts ist gemäßer in diesen Tagen als Wahrhaftigkeit, die sich nicht einschüchtern lässt durch die Reden am Markt: ich glaube, wir sollen heute unentwegt Tolstoi einen der wirklichsten Menschen aller Zeiten nennen und brauchen nicht zu zögern mit Ehrerbietung vor der Leistung eines Anatole France. Ein Vermeiden dieser Höflichkeitsbezeugung und dieser freien Zustimmung zu ihren Werken (die längst vor diesen Tagen entstanden) könnte leicht darauf deuten, wenn schon nicht eine Äusserung so sei doch Ihre Gesinnung jenen feindlich. Und das ist doch nicht Ihre Absicht. Ich wage natürlich nicht, diese meine Empfindung zur Ihren machen zu wollen: es ist nur eine Antwort auf Ihre gütige Frage. Gerne expediere ich den |Brief in dieser Fassung wie in jeder andern an R. R., es wird ihm eine grosse Freude sein, Sie unter den Wenigen zu wissen, die heute, mitten im Kampf, schon an die Versöhnung denken.
Ich bin morgen Montag nach dem Bureau bestimmt zwischen 4–5 zu hause und freute mich sehr Ihres Aurufes. Vielen vielen Dunk für Ihr Vertrauen und alles Herzliche Ihnen und den Ihren! Treulichst
 Stefan Zweig
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