Felix Salten an Arthur Schnitzler, 6. 7. 1906

|Berlin, 6. 7. 06.
Lieber, wie Schade, dass Sie gerade jetzt durch Berlin kamen, während meiner Abwesenheit. Man hätte vielleicht doch eine Stunde gehabt, um sich auszusprechen. Schreiben ist in manchen Fällen so schwer. Was ich jetzt, in der nächsten Zeit, beginne, liegt noch im Halbdunkel, und was ich Ihnen davon mitteile, ist – einstweilen – nur für Sie. In Berlin will ich nicht bleiben; kann es ehrlicherweise garnicht tun und spüre, dass ein Bruch in mein Leben käme, wollte ich versuchen mich zu zwingen. »Die Zeit« will mich wieder haben, und ich bin gerne geneigt, abzuschließen. Dabei bietet sich hier der Plan zu einer Wochenschrift, die ich mit Max Liebermann und Rich. Strauß zusammen herausgeben, und allein leiten soll. Ihr Bestand ist für drei Jahre garantirt. Honorarbudget, ohne meine Gage, nur für Mitarbeiter 1000 Mark pro Nummer. Sie soll das Blatt der »anständigen Leute« werden, der Besten, ganz einfach. Ein kleiner, exclusiver, ständiger Mitarbeiterkreis. Ich hätte ausser der Gage noch einen Besitzanteil. Jetzt überleg ich mir’s, ob ich die Sache nicht von Wien aus machen kann. Technisch gehts ganz gut. Die Schwierigkeiten, die sich freilich ergeben, würden reichlich durch manche Vorteile, |die sich dran knüpfen, aufgewogen. Ich könnte z. B. die Berliner u. Wiener Theater zusammen überschauen und besprechen. Würde bei allen wichtigen Aufführungen (an die Premiere bin ich ja nicht gebunden) in Berlin sein. Könnte deutsche und österreichische Kultur- und Gesellschaftskritik zusammen treiben, was dem Blatte ebenso wie meiner Stellung etwas ganz Besonderes gäbe. Und wenn – binnen kurzem – ein Thronwechsel in Österreich alles Interesse erregt, wär’s für eine solche Wochenschrift eine ganz einzige Conjunctur. Ganz abgesehen davon, dass ich, als in Wien lebend, nicht mehr unter der Fuchtel der politischen Polizei in Preussen, die ärger ist als man glaubt, und nicht mehr unter der Ausweisungsgefahr leben müßte.
Glauben Sie, dass mein Wiedereintritt in die »Die Zeit« für mich gut wäre? Dass man mich dort braucht, sehe ich, und dass die »Die Zeit« jetzt ihre literarische Stimme eingebüßt hat, kann ich wol, ohne Ihrem Freund Bauer allzu unrecht zu thun, sagen.
Von sonstigen Dingen: dass Herr Friedegg knapp vor der Verhandlung eine umfassende Ehrenerklärung abgegeben hat. Dass der Ludassy-Prozess vertagt ist. Dass mein Bruder leider weit davon entfernt ist, ein Millionär |zu sein, dass er aber freilich, gottseidank, ein so ahnsehnliches Geld verdient hat, dass ich – hoffentlich – für alle Zukunft der Sorge um ihn und um meine Familie enthoben bin.Wie viel er besitzt, weiß ich nicht, weiß nur, dass er mit seiner Frau sechs Wochen in England war, ihr um 20.000 Kronen Schmuck gekauft hat, für meine Mama alles Erdenkliche tut, und meiner sel. Schwester wie meinem Papa ein kostbares Grabmonument hat errichten laßen, dass er bei alledem doch weit von einer Million entfernt, und bei alledem von seinem Glück geradezu melancholisch geworden ist, weil der Papa jahrelang darauf gewartet hat, und – genau zwei Wochen zu früh starb. Ich hatte im Mai eine heftige Nierenkolik. Zweimal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Bekam zweimal Morphium, beidemale mit einer unreinen Spritze oder mit einer mangelhaft gekochten Lösung. Musste dann fünf Tage lang rasende Schmerzen leiden, und am Ende froh sein, dass nicht Schlimmeres geschah. Dabei weiß ich trotz zweier Ärzte nicht, ob ich den Nierenstein habe, oder ob es nur eine akute Sache gewesen ist.
Otti und die Kinder sind wol und frisch in Bansin, dessen sonstige Gesellschaft mir als der Ausbund alles Grausenhaften geschildert wird. Ich gehe am 15. Juli zu ihnen. Dann wollen wir einmal, vielleicht sogar mit den Kindern, per Schiff nach Kopenhagen, wo wir uns sehen |könnten. An dem Ausflug an die Nordsee werd ich wol nicht teil nehmen. Ich will, wenn’s geht, in Bansin noch arbeiten. Die vierzehn Tage LondonStratfordCambridge waren sehr schön. Die Seefahrt – hin nach Southampton, zurück von Plymouth über Cherbourg – wundervoll. Die englische Landschaft ist beinahe überall so schön wie Dornbach.
Schreiben Sie mir bis zum 14. nach Berlin. Von da ab Seebad Bansin, Seestraße 5.
Viele herzliche Grüße Ihnen, Frau Olga und Heini.
Ihr
Salten
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