Lieber, wie Schade, dass Sie gerade jetzt durch
Berlin kamen, während meiner Abwesenheit. Man hätte vielleicht doch eine Stunde gehabt, um
sich auszusprechen. Schreiben ist in manchen Fällen so schwer. Was ich jetzt, in der
nächsten Zeit, beginne, liegt noch im Halbdunkel; und was ich Ihnen davon mitteile,
ist – einstweilen – nur für Sie. In
Berlin will
ich nicht bleiben; kann es ehrlicherweise garnicht tun und spüre, dass ein Bruch in
mein Leben käme, wollte ich versuchen
, mich zu zwingen. »
Die
Zeit« will mich wieder haben, und ich bin gerne geneigt, abzuschließen. Dabei bietet sich
hier der Plan zu einer
Wochenschrift, die ich mit
Max Liebermann und
Rich. Strauß zusammen herausgeben, und allein leiten soll.
Ihr Bestand ist für drei Jahre garantirt. Honorarbudget, ohne meine Gage, nur für
Mitarbeiter 1000 Mark pro Nummer. Sie soll das Blatt der »anständigen Leute« werden,
der Besten, ganz einfach. Ein kleiner, exclusiver, ständiger Mitarbeiterkreis. Ich
hätte ausser der Gage noch einen Besitzanteil. Jetzt überleg ich mir’s, ob ich die
Sache nicht von
Wien aus machen kann. Technisch
gehts ganz gut. Die Schwierigkeiten, die sich freilich ergeben, würden reichlich
durch manche Vorteile,
|die
sich dran knüpfen, aufgewogen. Ich könnte z. B. die
Berliner u.
Wiener Theater zusammen
überschauen und besprechen. Würde bei allen wichtigen Aufführungen (an die Premiere
bin ich ja nicht gebunden) in
Berlin sein. Könnte
deutsche und
österreichische Kultur- und
Gesellschaftskritik zusammen treiben, was dem
Blatte ebenso wie meiner Stellung etwas ganz Besonderes gäbe. Und wenn – binnen Kurzem
– ein Thronwechsel in
Österreich alles
Interesse erregt, wär’s für eine solche Wochenschrift eine ganz einzige Conjunctur.
Ganz abgesehen davon, dass ich, als in
Wien
lebend, nicht mehr unter der Fuchtel der politischen Polizei in
Preussen, die ärger ist als man glaubt, und nicht mehr unter
der Ausweisungsgefahr leben müßte.
Glauben Sie, dass mein Wiedereintritt in die die »
Zeit« für mich gut wäre? Dass man mich dort braucht, sehe ich, und dass die
»
Zeit« jetzt ihre literarische Stimme
eingebüßt hat, kann ich wol, ohne Ihrem Freund
Bauer allzu unrecht zu thun, sagen.
Von sonstigen Dingen: dass Herr
Friedegg
knapp vor der Verhandlung eine umfassende Ehrenerklärung abgegeben hat. Dass der
Ludassy-Prozess vertagt ist. Dass mein
Bruder leider weit davon entfernt ist, ein Millionär
|zu sein, dass er aber freilich,
gottseidank, ein so ahnsehnliches Geld verdient hat, dass ich – hoffentlich – für
alle Zukunft der Sorge um ihn und um meine Familie enthoben bin.
Wie viel er besitzt, weiß ich nicht, weiß nur, dass er mit seiner
Frau sechs Wochen in
England war, ihr um 20.000 Kronen Schmuck gekauft
hat, für meine
Mama alles
Erdenkliche tut, und meiner sel.
Schwester wie meinem
Papa ein kostbares Grabmonument hat errichten laßen, dass er bei alledem
doch weit von einer Million entfernt, und bei alledem von seinem Glück geradezu
melancholisch geworden ist, weil der
Papa jahrelang darauf gewartet hat, und – genau zwei Wochen zu früh starb.
Ich hatte im Mai eine heftige Nierenkolik. Zweimal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Bekam zweimal Morphium,
beidemale mit einer unreinen Spritze oder mit einer mangelhaft gekochten Lösung.
Musste dann fünf Tage lang rasende Schmerzen leiden, und am Ende froh sein, dass
nicht Schlimmeres geschah. Dabei weiß ich trotz zweier Ärzte nicht, ob ich den
Nierenstein habe, oder ob es nur eine akute Sache gewesen ist.
Otti und die
Kinder sind wol und frisch in
Bansin, dessen sonstige Gesellschaft mir als
der Ausbund alles Grausenhaften geschildert wird. Ich gehe am 15. Juli zu ihnen. Dann wollen wir einmal, vielleicht sogar mit den
Kindern, per Schiff
nach
Kopenhagen, wo wir uns sehen
|könnten. An dem Ausflug an die
Nordsee werd ich wol nicht teil nehmen. Ich will, wenn’s geht, in
Bansin noch arbeiten. Die vierzehn Tage
London –
Stratford –
Cambridge waren sehr schön. Die Seefahrt – hin nach
Southampton, zurück von
Plymouth über
Cherbourg – wundervoll.
Die
englische Landschaft ist
beinahe überall so schön wie
Dornbach.
Schreiben Sie mir bis zum 14. nach
Berlin. Von da ab Seebad
Bansin,
Seestraße 5.
Viele herzliche Grüße Ihnen, Frau
Olga und
Heini.
Ihr Salten