Lieber Arthur! Unsere Briefe haben sich gekreuzt. Am Tage, nach
welchem meiner abgesendet war, empfing ich den Ihrigen. Ich konnte nicht mehr erwarten, von
Ihnen Nachricht zu erhalten, denn da Alle Anderen Briefe von Ihnen bekamen, musste
ich denken, mein Schreiben Sei verloren gegangen.
Die gute Stimmung, in der ich kürzlich an Sie geschrieben, läßt nach. Vierzehn Tage Regenwetter liegen dazwischen,
und der Frühling hat nun ein Ende. Ich fühle mich nach und nach wieder beschwert von
allen Gewichten, die sonst immer mein Wesen drücken. Alle meine Wünsche concentriren
sich nun darauf Etwas fertig zu bringen. Wenn das geschehen könnte, wäre ich
wesentlich gefestigter. Aber Sie können sich nicht denken, wie sehr ich an dem Gefühl
der Unwichtigkeit leide, sobald ich mir meine
|Arbeiten fertig vorstelle und
gedruckt und unter allen Anderem wirkend, was es in der Kunst gibt. Es ist das
niederdrückendste Gefühl, und man ist wie gelähmt, wenn diese Empfindung Einem
vorzurechnen beginnt, in wie vieler Beziehung man mit Allem, was man machen möchte
und könnte, entbehrlich sei. Dass ich damit allein bleibe, ist mir oft schwer genug.
Und ich bin jetzt ganz allein. Ich möchte das Einmal ganz klar aussprechen, damit
ich
später nicht mehr in Andeutungen darauf zurückkommen brauche. Ich möchte es umso
eher, als ich es jetzt ohne die mindeste Bitterkeit thun kann u. meine sonstige
starke Empfindlichkeit ungerechnet, über Empfindlichkeiten hinweg bin: Ich habe außer
zu Ihnen, weder zu
Hugo und noch viel weniger
zu
Beer-Hofmann Beziehungen irgend welcher
Art. Sie suchen mich nicht und nirgends und ich sie nicht.
|Bei der großen Schätzung, auf
welcher mein Verkehr mit ihnen beruhte, war ich zunächst darauf hingewiesen, die
Schuld an dieser Wandlung in mir allein zu suchen. Das hat mir manche, sehr verzagte
Stunde verursacht. Jetzt bin ich mir über die inneren und äußeren Gründe, über die
Art, in welcher diese Gründe mit dem Leben im Allgemeinen und mit den
↓beteiligten↓ Personen im Besonderen zusammenhängen vollständig
klar, und deshalb spreche ich es – wie um der Ordnung willen – aus. Ich thue
↓es↓ übrigens auch, weil ich nicht weiß, ob nicht in ähnlicher
oder anderer Weise diese Angelegenheit mit Ihnen besprochen wurde, und weil ich in
Ihnen gewiss nicht das Gefühl erhalten wissen möchte, als hätten Sie mir etwas
schonend zu verschweigen. Schließlich bitte ich Sie, zu glauben, dass ich durchaus
keine gegentheiligen Versicherungen, auch keine Confidencen provoziren wollte. Nicht
wahr, das glauben Sie mir?
|Mit meinen Arbeiten geht es
mir merkwürdig. So vielerlei durcheinander, so viele neue Ausblicke durch alte
Stoffe, so viele neue Pläne haben mich selten auf einmal beschäftigt. Und wenn das
Gefühl der grossen Unwichtigkeit mich nicht hinderte, käme ich wol rascher vorwärts.
Schließlich wird ja doch der Todesgedanke, der sich immer mehr und mehr meiner
bemächtigt, seine Wirkung ausüben, und mich an ein Ziel führen. Ist es nicht
sonderbar, dass ich an den Tod unabläßiger denn je, aber ohne Qual und ohne Angst,
ja
beinahe mit Neugierde denke? Ich bilde mir aus mehrfachen Gründen ein, dass ich
mit fünfunddreißig Jahren an einem
Märztag weggehen werde, und ich denke daran, wie an
ein Unternehmen, dessen Zustandekommen zum Theil in meiner Macht liegt. Es ist nicht
Selbstmord, warum sonst die fünfundreißig? Aber es ist so, als müsste ich in diesen
|acht Jahren, die es bis
dahin noch sind, alles erledigen, und als wäre ich dann eben à jour. Meine Gesundheit, – der alte Bronchialkatarrh, der ja doch einmal
die Lunge angreifen muss, – meine Arbeiten, mein Lieben, alles scheint mir so, als
könne es nicht länger vorhalten als bis zu jenem Märztag im Jahre 1905. Jedesfalls hängt meine Sorglosigkeit und der Glaube an eine Wendung
der Dinge, die nun bald eintreten müsse, mit dieser Vorstellung
zusammen, und ich habe wenigstens die Zuversicht davon, nicht einen Tag früher zu
sterben.
Gestern erhielt ich von Frl.
Sandrock einen wunderschönen Brief, so echt, wie ich noch
nichts von ihr gehört: »Ich liege an der
Ostsee
und blicke mit meinen blauen Augen zum blauen Himmel empor,« so beginnt es, und es
ist, als ob sie
ih in ihrem gelösten Wesen mit diesen ironischen Worten eine directe Verbindung
zwischen sich und der Welt gefunden hätte. Dann kommen Sätze: »
Gestern
trat ich hier auf, und
heute liegt
Riga in Fraisen.« Oder: »Was geht in Dir vor? gehe ich
|Dir ab? (Ich habe sie zwei
Monate nicht gesehen und nichts von ihr gehört) Fällst Du nicht todt vom Boden bei
dem Gedanken mich bald wieder zu sehen?« ec. Schließlich läuft das Ganze auf die
Bitte hinaus, ihre Triumphe in die Zeitung zu geben. – Der
Bruder des Fräulein
M. hat in
Rußland
anläßlich der Anwesenheit unseres
Kaisers den
Franz Josefs-Orden
erhalten. Heute war er hier, im Smoking und schwarzer
Binde, mit der Rosette im Knopfloch bei seiner
Mutter zu Besuch. Gespräch: Thema: unsere
Kaiserin.
Ich: Sie lebt wunderschön, – so allein, von nichts bekümmert.
Er: Sie könnte es noch schöner haben.
Ich: Wieso denn?
Er:
Sie könnte Protektorin aller Wohltätigkeitsvereine sein! (Wörtlich)
Ich weiß wieder nicht, ob dieser Brief Sie in
Paris noch trifft. Wenn Sie ihn erhalten, dann bitte zeigen Sie’s mir, wenn
auch nur auf einer Postkarte, an.
Herzlich Ihr
Salten