Felix Salten an Arthur Schnitzler, 5. 5. 1897

|Wien, am 5. Mai 97.
Lieber Arthur, seit ein paar Tagen bin ich wieder in Wien. Ich war in Riva – sehr schön. Aber es hätte viel schöner sein können, wenn die Mitterwurzer nicht dabei gewesen wäre. Hier lebe ich in einer merkwürdigen Sorglosigkeit. Eigentlich begreife ich es selbst nicht, warum ich mich so völlig unbekümmert hintreiben laße. Manchmal sage ich mir, dass irgend eine günstige Wendung bevorsteht, dass ich sie in allen Gliedern spüre und dass ich deshalb so frei bin. Dabei fällt mir immer ein, was Sie mir gelegentlich sagten: Dass man sich bei mir immer eines Glückfalles versieht. Für Ihren Brief dank ich Ihnen sehr. Es war ja nicht viel, aber etwas, und ich bin jetzt – Frl. M. ausgenommen – sehr einsam. Ich arbeite ordentlich dabei |und nach allen Seiten. Es geht kein Tag hin, an dem mir nicht etwas Erfreuliches einfiele. Dabei bin ich jetzt an Büchern und Menschen und an den Erinnerungen vorbei auf einem ziemlich directen Weg zu mir selbst. Es ist eine eigenthümlich aufregende Zeit. Frühling kann man nicht sagen, – denn es ist etwas Zweites, alles ist dezidirter, kühler und alle Formen sind ohne den ahnungsvollen Nebel, und klarer. Es gibt keinen Menschen, kein Buch, nichts in meinem Leben, zu dem ich nicht eine total veränderte Beziehung hätte, als vorher. Das ist natürlich nicht erst in acht Tagen geworden, aber erst auf meiner Reise, und dann jetzt hier, habe ich ein wenig Ordnung mit diesen Dingen gemacht, und meine Interessen gesäubert.
Von äußeren Umständen weiß ich Ihnen |nichts Neues zu sagen. Vielleicht finde ich eine Stellung – Ludaßy behauptet, er habe große Dinge vor, – vielleicht wird etwas mit einer Direction; vielleicht schreibe ich von den Stoffen, mit denen ich mich jetzt beschäftige einen zu Ende, – das letztere ist das wahrscheinlichste. Das Bicycle und Frl. M. füllen meine übrige Zeit aus. Seit der Reise ist auch hier eine entscheidende Wendung eingetreten. Das macht mich auch besser und ruhiger und gibt meinem Leben wieder einen vollen Duft, denn ich habe lange Niemanden lieb gehabt. Sonst leb ich mit keinem Menschen und habe Keinen, mit dem ich sprechen möchte.
Bei den übrigen ist, glaub ich, alles beim Alten, oder doch nichts wesentliches geschehen. Hugo sehe ich selten, und wenn, dann reden wir vom Bicycle. Mein Verkehr mit Beer-Hofmann beschränkt sich aufs Pokerspielen und mit Schwarzkopf kann ich garnichts sprechen. G. Hirschfeld sehe ich manchmal. Er will mir sein Stück vorlesen. Brahm ist hier, glaube ich, – ich habe ihn aber noch nicht gesehen.
Sie kommen ja wol bald? Bis dahin höre ich doch noch öfter, wie es Ihnen geht.
Herzlich Ihr
 Salten
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