Lieber Freund, Ich danke Dir für Deinen lieben Brief,
den ich kurz vor meiner Abrei
se aus
Berlin erhielt, und komme mit einer großen Bitte.
Hier habe ich eine ganz
verzweifelte Situation vorgefunden. Die Operation i
st ver
sucht worden. Man hat aber nach der Bauchöffnung kon
statirt, daß der
tumor an einer Stelle des Darms
sitzt, an die man nicht
herankomme, weder von oben, noch von unten. Die Ärzte haben
sich al
so ent
schlo
ssen,
wieder zuzunähen, ohne etwas gemacht zu haben. Der
Patient ahnt das nicht und glaubt, er
sei
mit Erfolg von einem gutartigen
tumor operirt worden. Nur
die Ärzte und ich wi
ssen, daß er verloren i
st.
|Mein
Schwager, der ein eben
so
bedeutender als bedacht
samer Arzt i
st, hat alle Eventualitäten in Betracht gezogen.
Es gibt eine Operation, die
Kraske in
Freiburg macht und die an Ge
schwüre, die
an die
ser Stelle
sitzen, von hinten auf dem Wege der Durchmeißelung eines Knochens
herankommt. Da aber der Erfolg die
ser Operation
sehr fraglich i
st und
sie zumei
st zur
Bildung einer Darmfi
stel führt, hat mein
Schwager, um den
Patienten in
seiner letzten Lebenszeit nicht unnötigen Qualen
auszu
setzen,
sich ent
schlo
ssen, auf die
se Operation zu verzichten und will einfach
das Unvermeidliche ge
schehen la
ssen.
In die
se Re
signation des
Arztes
|mich hineinzufinden, i
st für mich
unendlich
schwer, – die Idee, daß da ein
Mensch liegt, den man liebt, und man
ohn ohnmächtig zu
sehen
soll, wie er zu Grunde geht, vermag ich nicht zu fa
ssen. Im
Grübeln über Rettungs-Möglichkeiten i
st mir Dein
Bruder eingefallen, der ja ein
so bedeutender Chirurg i
st,
und ich bitte Dich nun recht
sehr, ihm
de den Fall zu erzählen und ihn zu fragen, wie er darüber denkt, was er thun
würde und ob er nicht irgend einen Rat weiß? Grüße ihn von mir und danke ihm in meinem Namen für Alles, was er
sagen
und thun könnte. Und
sei auch Du vielmals und
|herzlich
st im Voraus bedankt! Nur bitte ich Dich, daß Du mir umgehend antworte
st
(an die Adre
sse meines
Schwagers,
Dr. Goldmann, bei
Dr. Rosenga Rosengart, das Weitere
steht am Kopf des Briefes), da ich nur noch wenige Tage
hier bleiben kann.
Daß ich Dir das Alles nur im strengsten Vertrauen mitteile, brauche ich ja nicht erst
zu sagen.
Viele treue Grüße!
Dein Paul Goldmann.