Arthur Schnitzler an Felix Salten, [14. 8. 1893]

|Bei der »schönen Aussicht« – in Döbling – dort, bei der Buche, lehnt mein Rad. – Sehr, sehr, sehr allein. – Unten die dunkle Stadt und die Lichter von den fernen Landstraßen. Um mich nachtmahlende recht vergnügte Bürger, spärlich eigentlich. – Es ist gegen neun, u ich halte bei der Virginier, da ich beim Schein der Gartenlaterne |einen Brief schreibe, dürfte ich für einen begabten Selbstmörder gehalten werden. – Hergekommen über einige unwahrscheinliche Ortschaften – mit einem Wort: Heiligenstadt. War in Klosterneuburg; Bei Gelegenheit meines verbogenen Pedals eine herrliche jüdische Schlosserfamilie |studirt. »Wunderschön«1, wie plötzlich zwei ältere jüdische Klosterneuburg. »Gigohl« bei der Thür erscheinen & den besuchten Schlosser sagten, »Nu, Vägel, was is mit ä Tarotpartie?« und die 16jährige Tochter, die auch offenbar sofort richtig taquirte, bemerkte »Klab raus jedu!«
|– Eben trank ich wieder einen Schluck Bier & bemerkte meine Einsamkeit. Ich lüge mir soeben vor, dass ich beginne, philosophisch und gleichgiltg zu werden – gegen »all den Tand, der uns von draußen kommt –« Frl. G. war 2 oder 3 mal da; und es war wie immer; – ich hab nie geahnt, dass Weiber wegen ein u derselben Sache so |viel Thränen haben! – Von Blumenthal kam gestern ein Brief mit entrüstenden Phrasen. – Merken Sie, Goldchnittpapier? Ich glaube, Frl. Diglas hat es dem Kellner zur Verfügung gestellt.– 
Goldmann kommt wahrscheinlich Anfang September nach Salzburg, ich schreib ihm – Ende |August. Bitte sammeln Sie unsere Daten über unsere Partie u. entschließen Sie sich zu einem ausführlichen Schreiben.–
– Nun fahr ich hinein, morgen in die Brühl, übermorgen zur »Liebsten« , hihihihihihihihihihi! |Gestern war ich per Bic (Reichstraße) Baden; wurde sehr sehnsüchtig u jung geliebt. Sonderbar: in demselben Garten, in dem ich vor etwa 7 Jahren ein junges Mädel wahnsinnig »herzte« u küsste, das jetzt längst verheiratet ist – bis hundert Jahr.
|Wann ich wegfahre, weiss ich noch nicht. Wohl Sonntag.–
Leben Sie wohl, schreiben Sie was schönes und grüßen Sie mir die »wackern« Linzer Radfahrer.
All heil! –
Nach Schluss – Eben ging Hr P. l’amant de M A. D. an mir vorbei; Cretin!
  1. 1 Salten.–
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