|Dessauerstrasse 19
Mein lieber Freund,
Ich danke Dir für Deine lieben Briefe. Zum Antworten komme ich erst heut, weil ich gar so viel zu thun hatte.
Es ist mir schmerzlich, daß Dein Leid sich gar nicht lindern will. Gewiß, einen Ersatz
für das Verlorene gibt es nicht. Aber es gibt Anderes, Neues, das auch gut sein wird
in seiner Art. Du wirst doch nicht im Ernst glauben wollen, daß Dein Leben
abgeschlossen ist? Geh’ nur nach dem Süden, das wird heilsam sein.
Salten hat mir diesmal
nicht
sonderlich gefallen. Lügt er nicht auch ein wenig? Die Ge
schichten von dem
Erzherzog können doch nicht
alle wahr
sein. Ich glaube, er hält auf eine gewi
sse An
ständigkeit, weil der Zufall
es gefügt hat, daß er
sich an Dich ange
schlo
ssen hat.
|Aber wenn der Zufall ihn zu den Andern geführt
hätte,
so wäre er geworden, wie die
se, und vielleicht wird er es noch einmal.
Die
Fräuleins Glümer sehe ich nicht
so oft, als ich möchte.
Gusti, die ich neulich vertraulich fragte, ob
sie Deinen Brief erhalten,
sagte: Ja.
Eine
Frau Meyer-Cohn, bei der ich hier verkehre,
sagte mir,
sie
sei eine Jugendbekannte von Dir. Mir
scheint,
sie läßt Dich auch grüßen.
Wie i
st
Salten’s Stück? Der
Glückliche! Ihm i
st jetzt auch eine größere Arbeit gelungen. Ich bleibe allein
zurück.
Bleibe allein zurück in dem Journalismus, der mir unerträglicher i
st, als je. Und wie
ich behandelt werde! Kein einziges meiner Theaterreferate wird mehr gedruckt, ohne
daß vorher zwei Drittel herausge
strichen wären.
|Ich Oder: ich referire über ein Stück, und zwei Tage
später wird in der
Theaterrubrik das Referat aus der »
Nationalzeitung« abgedruckt, welches das Gegentheil
sagt. Oder: Man trägt
mir telegraphi
sch die Abfa
ssung eines Artikels auf. Ich arbeite drei Tage, und der
Artikel wird weggeworfen.
So So muß ich mich
behandeln la
ssen, ich, ein Men
sch von Werth! Manchmal kommt mir das Weinen an über
die Erniedrigung.
Herzl als
Feuilleton-Redakteur
i
st
sehr an
ständig. Das Alles aber muß unter uns bleiben. Du weißt, wie ra
sch in
Wien sich
so etwas herum
spricht; und das könnte mir
übel bekommen.
Kein Weg, der aus diesem entsetzlichen Berufe herausführt! Und ich werde alt und kann
auch nicht mehr lange so arbeiten, wie bisher.
Verkehr habe ich hier
so gut wie keinen.
|Mit wem
sollte ich auch verkehren? Als »Zeitungs
schreiber« bin ich ein Mann zweiten Ranges,
und jeder Bur
sche, der einen
schlechten Einakter aufführen läßt, dünkt
sich mehr als
ich.
Kerr i
st genau
so eingebildet, als er begabt i
st. Er betrachtet mich nicht als
gleichberechtigt, folglich bleibe ich ihm fern.
Brahm habe ich einmal ge
sehen. Ich machte ihm meinen Antrittsbe
such, und
so wir
sprachen über
Berlin und
Wien. Ich klagte, daß
Berlin so unkün
stleri
sch
sei. – »Nun, das wird
sich jetzt wohl
be
ssern, wo Sie da
sind«. – Seitdem bin ich natürlich nicht mehr wiedergekommen. Der
einzig angenehme literari
sche Men
sch, den ich hier kennen gelernt habe, i
st
Fritz Mauthner.
Kenn
st Du den? Ich
sehe ihn freilich alle
sechs Wochen einmal. . . .
Was macht
Richard? Seht Ihr Euch oft? Wie leb
st Du und was treib
st Du?
Schreib’ mir bald wieder!
Viele treue Grüße!
Dein Paul Goldmann.