Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 22. 3. [1900]

|Dessauerstrasse 19
Berlin, 22. März.

Mein lieber Freund,

Ich danke Dir für Deine lieben Briefe. Zum Antworten komme ich erst heut, weil ich gar so viel zu thun hatte.
Es ist mir schmerzlich, daß Dein Leid sich gar nicht lindern will. Gewiß, einen Ersatz für das Verlorene gibt es nicht. Aber es gibt Anderes, Neues, das auch gut sein wird in seiner Art. Du wirst doch nicht im Ernst glauben wollen, daß Dein Leben abgeschlossen ist? Geh’ nur nach dem Süden, das wird heilsam sein.
Salten hat mir diesmal nicht sonderlich gefallen. Lügt er nicht auch ein wenig? Die Geschichten von dem Erzherzog können doch nicht alle wahr sein. Ich glaube, er hält auf eine gewisse Anständigkeit, weil der Zufall es gefügt hat, daß er sich an Dich angeschlossen hat. |Aber wenn der Zufall ihn zu den Andern geführt hätte, so wäre er geworden, wie diese, und vielleicht wird er es noch einmal.
Die Fräuleins Glümer sehe ich nicht so oft, als ich möchte. Gusti, die ich neulich vertraulich fragte, ob sie Deinen Brief erhalten, sagte: Ja.
Eine Frau Meyer-Cohn, bei der ich hier verkehre, sagte mir, sie sei eine Jugendbekannte von Dir. Mir scheint, sie läßt Dich auch grüßen.
Wie ist Salten’s Stück? Der Glückliche! Ihm ist jetzt auch eine größere Arbeit gelungen. Ich bleibe allein zurück.
Bleibe allein zurück in dem Journalismus, der mir unerträglicher ist, als je. Und wie ich behandelt werde! Kein einziges meiner Theaterreferate wird mehr gedruckt, ohne daß vorher zwei Drittel herausgestrichen wären. | Oder: ich referire über ein Stück, und zwei Tage später wird in der Theaterrubrik das Referat aus der »Nationalzeitung« abgedruckt, welches das Gegentheil sagt. Oder: Man trägt mir telegraphisch die Abfassung eines Artikels auf. Ich arbeite drei Tage, und der Artikel wird weggeworfen. So muß ich mich behandeln lassen, ich, ein Mensch von Werth! Manchmal kommt mir das Weinen an über die Erniedrigung.
Herzl als Feuilleton-Redakteur issehr anständig. Das Alles aber muß unter uns bleiben. Du weißt, wie rasch in Wien sich so etwas herumspricht; und das könnte mir übel bekommen.
Kein Weg, der aus diesem entsetzlichen Berufe herausführt! Und ich werde alt und kann auch nicht mehr lange so arbeiten, wie bisher.
Verkehr habe ich hier so gut wie keinen. |Mit wem sollte ich auch verkehren? Als »Zeitungsschreiber« bin ich ein Mann zweiten Ranges, und jeder Bursche, der einen schlechten Einakter aufführen läßt, dünkt sich mehr als ich. Kerr ist genau so eingebildet, als er begabt ist. Er betrachtet mich nicht als gleichberechtigt, folglich bleibe ich ihm fern. Brahm habe ich einmal gesehen. Ich machte ihm meinen Antrittsbesuch, und wir sprachen über Berlin und Wien. Ich klagte, daß Berlin so unkünstlerisch sei. – »Nun, das wird sich jetzt wohl bessern, wo Sie da sind«. – Seitdem bin ich natürlich nicht mehr wiedergekommen. Der einzig angenehme literarische Mensch, den ich hier kennen gelernt habe, ist Fritz Mauthner. Kennst Du den? Ich sehe ihn freilich alle sechs Wochen einmal . . . .
Was macht Richard? Seht Ihr Euch oft? Wie lebst Du und was treibst Du?
Schreib’ mir bald wieder!
Viele treue Grüße!
Dein
Paul Goldmann.
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