Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 1. 5. 1899

und
Handelsblatt.
Telegramm-Adresse:

Mein lieber Freund,

Ich sehe aus den hier eingetroffenen Berliner Blättern, wie groß Dein Erfolg gewesen ist, und beglückwünsche Dich nochmals von ganzem Herzen. Ich erwarte mir davon gute Wirkungen auf Deine Gemüthsverfassung, wenigstens einen neuen Ansporn zur Arbeit. Daß Du alle die Dir gespendeten Ehren im gegenwärtigen Moment als nutzlos empfindest, kann ich begreifen. Aber ich bin froh, daß Du in diesen Tagen wenigstens äußerlich mit etwas Anderem beschäftigt gewesen bist, als mit Deinem Schmerz; und auch dieser wird und muß milder, weniger |blutig werden. Aber sonst, wie gesagt, ist mir Deine Stimmung so verständlich! Was Du in diesem Augenblick empfindest, habe ich mein ganzes Leben lang gefühlt. Immer diese furchtbare Leere. Ich habe nie mit Jemandem theilen können, Dir aber war dieses hohe Glück wenigstens einige Jahre lang gegeben, und es wird Dir wieder beschieden sein. Ich habe zur Ausfüllung meiner Existenz, zur Befriedigung all’ meiner Sehnsucht nie etwas gehabt, als meine Arbeit, – und welche Arbeit! Die Arbeit, an die ich früher geglaubt, mißachte ich jetzt, als etwas Gekünsteltes und Wesenloses. Nur das Menschliche hat Werth, – nur das, was wir leben.
Ich hab’ mich selten so in Dein |Empfinden hineinversetzen können, wie in diesem Falle, und ich meine, wenn ich bei Dir wäre, könnte ich Dir Manches Tröstliche sagen. Daß Du nicht nach Frankfurt kommen magst, bringt mir eine schmerzliche Enttäuschung. Ich erfuhr heut Morgen, daß ich Ende dieser Woche nach Berlin gehen soll, und dachte einen Augenblick daran, Dirs zu telegraphiren und Dich zu bitten, daß Du mich dort erwartest. Aber als ich Deinen Brief bekam, entschloß ich mich, lieber nicht zu telegraphiren; es wäre ja auch ohnedies nutzlos gewesen.
Wenn Du jetzt wieder in Wien  bist, so quäle Dich wenigstens nicht selbst, wie Du es bisher gethan hast. Besonders |diese Reise nach Graz war eine fürchterliche Geschichte. Laß’ den Schmerz seinen natürlichen Lauf nehmen, wie Du als Arzt mit den Krankheiten thust, und behandle ihn nicht mit Gewaltkuren!
Adieu, mein lieber Freund!
Dein
 Paul Goldmann
Ich gehe nach Berlin, dann wahrscheinlich nach dem Haag zur Friedens-Conferenz. Briefe erreichen mich stets über Frankfurt.
  1. 1 Für die Redaktion bestimmte Briefe und Sendungen wolle man nicht an die Person eines Redakteurs, sondern stets an die Redaktion der Frankfurter Zeitung adressiren.
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