Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 21. 4. [1898]

21. April, Indischer Ocean.

Mein lieber Freund,

Morgen ist Postanschluß in Ceylon, und ich will Dir einen herzlichen Gruß senden.
Die Reise ist bisher wenig erfreulich. Ich leide abwechselnd unter der Seekrankheit und unter der namenlosen Hitze. Das geht sseit dem Rothen Meer, alsseit zehn Tagen |und es wird täglich schlimmer, je mehr wir an den Aequator herankommen. Heut haben wir 36 Grad (Celsius), und dazu nicht ein Lüftchen Wind. In der Nacht gibt es keine Abkühlung, und die enge Cabine ist ein entsetzlicher Aufenthalt. An Schlafen ist kaum zu denken. Man dämmert ein paar Stunden hin zwischen Wachen u. Schlaf und springt beim ersten Lichtstrahl wieder auf die Beine, froh aus |dem dumpfen Kerkerloch herauszukommen. Dazu habe ich einen durch Seekrankheit u. heißes Trinken unheilbar verdorbenen Magen. Und in China sollen wir in den heißen Sommer hineinkommen! Das kann gut werden. Das Schlimmste aber ist, daß mir das Arbeiten sschlecht von der Hand geht. Ich zwinge mich dazu mit Aufwendung aller meiner Energie. |Jeden Satz quäle ich mir heraus, und es isschrecklich, wie unlebendig, unpersönlich und conventionell Alles herauskommt. Ich reihe mühsam Eindrückchen an Eindrückchen, und ich fühle, daß das Ganze kein Bild gibt. Das ist tief verstimmend, und ich fürchte, meine Reise wird journalistisch ein Fiasco.
Sehr fehlen mir auch Deine lieben Nachrichten. Ich bitte Dich, mir gleich |nach Shanghai, Deutsches Post-Amt, Poste Restante zu schreiben u. diese Adresse auch für später beizubehalten, bis ich Dir Gegentheiliges angebe.
Was wirst Du diesen Sommer unternehmen? Ischl? Der Gedanke an einen Ischler Tannen-Wald ist |wahrhaft schmerzlich an einem versengenden Indischen-Ocean-Tage, wo man nach Luft und Kühlung schmachtet. Warum bin ich auch auf dieses verfluchte Meer hinausgefahren!
Ich grüße Dich u. den lieben Richard von ganzem Herzen.
Dein treuer
Paul Goldmn
Herzlichen Gruß an Deine Freundin!
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