Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 28. 2. [1898]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier, Paris, 28. Februar.
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Diese fürchterlichen drei Wochen Zola-Prozeß sind vorüber. Ich komme endlich wieder einmal zu mir und – zu Dir.
Sehr gefreut hat es mich, daß Du und Richard in Salzburg meiner gedacht habt. Ich danke Euch für Eure liebe Karte.
Dein lieber Brief war auch sehr schön, aber er sollte doch etwas heiterer sein. Lieber Sohn, verbittere Dir doch nicht so Deines Lebens schönste Zeit! Laß’ es in Deinem Ohre klingen, wenn es nun schon durchaus nicht anders will. Aber ist denn das |etwas Ernstes? C’est embêtant, voilà tout. Und Jeder hat sein embêtement, und Du hast absolut kein Recht, ein Leben ohne embêtement zu beanspruchen. Sei froh, daß Du nichts Schlimmeres hast. Hindert Dich das an irgend etwas Wesentlichem? Schaffen, Erleben, faire l’amour? Nein; also laß’ es klingen! Und wenn Du meinst, es mache Dir das Arbeiten unmöglich, so halte ich das für einen Fehlschluß, und ich glaube, Du schiebst auf das Ohrenklingen nur den Mangel an Inspiration, welcher daher kommt, daß Du zu fest und zu warm sitzest in Deinem Phaeaken-Nest.
|Das Feuilleton von Herzl, von welchem Du schreibst, habe ich nicht gelesen. Könntest Du mir es nicht schicken?
Mach’ Dich mit der ersten warmen Frühlings-Sonne auf und fahre Deinen Hypochondrien davon, weit in die Welt hinaus. Wenn Du erst einmal draußen bist, wirst Du selbst erstaunen, was für ein Kerl Du bist!
Der Zola-Prozeß hat Dir wohl auch bis zum Ende gut gefallen. Es ist interessant, wenn man plötzlich merkt, daß man wieder mitten im Mittelalter lebt. Aber es ist auch gut so, daß wir wieder die alten Feinde vor uns haben. Das gibt einen schönen Kampf, und |man weiß doch wenigstens, wozu man auf der Welt ist und verliert sich nicht mehr ins Bodenlose, wie beim Aufsuchen der »neuen Künste« und der »neuen Wahrheiten«. Es gibt eben in Wirklichkeit nirgends und niemals etwas Neues, und das Einzige, wozu wir Menschen fähig sind, ist, daß wir immer das Alte wiedererleben, als Individuen wie als Völker: Wir leben ewig in der Vergangenheit, ein »Leben, wie es ist«, und eine Sinnes-Täuschung zeigt uns den Ausblick auf das »Leben, wie es sein sollte« (wie es aber niemals sein wird), auf die Zukunft . . . . .
Im Sommer? Wie gern möchte ich Dich wiedersehen! Aber ich weiß zur Stunde noch nicht, wie sich gewisse Dinge gestalten werden, welche meine Redaction projectirt. Sei von Herzen gegrüßt!
Dein treuer
Paul Goldmn
Viele Grüße an Deine Freundin!
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