Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 9. [4.] 1896

und
Telegramm-Adresse:

Mein lieber Freund,

Ich bekam Deinen lieben Brief hierher nachgesandt, kann Dir also den Brief, von dem Du sprichst, erst nächste Woche nach meiner Rückkehr zurückfenden.
Du sollst nur einen kurzen Gruß von unterwegs erhalten. Ich bin hier, müde und ruhebedürftig. Mein Auge ist krank, und auch die Ruhe will nicht mehr viel nutzen. Hiesigen Eindrücke wenig erfreulich. Meine Familie, die |friedliche, in Parteien gespalten, – aufgelöst durch das neu hinzugekommene dissolvant. Schlimme Dinge, schlimmme Dinge!
Von Dir spricht alle Welt mit wärmster Sympathie, und während Deines Aufenhalts in Frankfurt hast Du bei uns alle Herzen gewonnen. Freundlich grüßt mich Dein Name aus den Schaufenstern der Buchhandlungen.
Was Du mir über Deine Stimmungen schreibst, ist gar seltsam. Daß auch Du diese Idee hast, Dein Leben zu verlieren, |Du, dessen Leben reich ist, wie kein zweites, das ich kenne. So scheint es, daß wir auf allen Stufen, bei allen Geschicken, im Glück und Unglück das Gefühl haben, das Leben zu verlieren; und vielleicht verlieren wirs auch Alle wirklich.
Gern möchte ich Dich im Sommer wiedersehen, vorausgesetzt, daß ich bis dahin noch in keinem Spital liege: Holland, Dänemark, wo Du willst. Freilich wirst Du bei unserem Wiedersehen |merken, daß sich Manches verändert hat.
Und warum kommst Du nicht nach Paris?
Dem Hugo thue ich nicht Unrecht. Ich soll den Artikel lesen, als handle er nicht von St. Georges. Ja, er handelt aber davon. Ich kann Form und Inhalt nicht scheiden, besonders nicht bei einer Kritik. Und wenn die Form gut ist, das Urtheil aber falsch, so ists eine schlechte Kritik. Auch ist die Form nicht gut, – verfluchte Manier! |Hoffentlich nimmst Du das Burgtheater-Referat in der »Zeit« an. Du bist der geborene Kritiker – wahrhaftig und unbestechlich, ich meine seelisch unbestechlich, nicht einmal ein emballé, wie ich. Und dann Du mit Deinem klugen Urtheil und feinen Kunstsinn! Nimms an! Daß Du nicht journalistisch thätig sein kannst, |ist eine Deiner Wahnideen, die am Besten durch die Praxis widerlegt werden. Auch schafft Dir eine regelmäßige kritische Thätigkeit gewisse Lebensgrenzen, – Barrièren, welche Deine Gedanken verhindern, im Unendlichen Unfug zu treiben. Wenn Du genöthigt bist, Rudolf Lothar und Davis kritisch zu behandeln, wirst Du weniger an den Tod denken.
Wie wenn Du mir ein Wort hierher schriebest? (Niddastrasse 37.) Das wäre schön.
|Ist Dein Stück fertig? Kann man das Manuskript sehen?
Bitte, schick’ mir nach Paris die im Buchhandel erschienenen Anatol-Sachen.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund!
Dein
 Paul Goldmann.
Gruß an Richard.
|Gefunden in einem alten deutschen Mystiker:
Und was sagst Du zu Frau Lou Andreas’ Buch »Ruth«? Hörst Du etwas von ihr?
  1. 1 Für die Redaktion bestimmte Briefe und Sendungen wolle man nicht an die Person eines Redakteurs, sondern stets an die Redaktion der Frankfurter Zeitung adressiren.
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