Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 25. 2. [1893]

Directeur M. L. Sonnemann. Paris, 25. Februar.
Journal politique, financier,
commercial et litteraire.
Paraissant trois fois par jour
Bureaux à Paris:

Mein lieber Freund!

Ich hätte Dir schon längst für Deinen so lieben Brief danken sollen. Aber in Zuständen wie der meinige hat man nicht immer die moralische Energie, sich zum Schreiben aufzuraffen. Sich in die Berufsarbeit zu vergraben, sich daran zu betrinken und zu betäuben – das bringt man zusammen. Aber wenn man mit denen sich beschäftigen soll, die Einem lieb und theuer sind, so kommt Einem die ganze Entsetzlichkeit zum Bewußtsein, in der man sich befindet – durch die Erin|nerung, den Contrast mit früher etc. Du wirst das verstehen und mir nicht zürnen.
Aber ich muß Dir doch sagen, daß mir Dein lieber Brief unendlich wohlgethan hat. Nicht wegen des Inhalts, der viel zu sehr nach Trost aussieht, als daß ich ein Wort davon glauben könnte, – aber wegen der treuen freundschaftlichen Gesinnung, der Herzensgüte, an die ich armer Verlassener und Verlorener nicht mehr gewöhnt bin. Laß’ Dir also von ganzem Herzen dafür danken. . . . 
Der Verlauf ist der gewöhnliche. Ich bin im ersten Anfangsstadium. Die Symptome stellen sich sicher, aber sehr langsam eines nach dem |andern ein. Die eigentlich ernste Behandlung wird wohl erst nächste Woche beginnen. Ich bin auf das Schlimmste vorbereitet und wohl Mann genug, um mein Loos bis zum Ende zu tragen.
Du bist der Einzige, der darum weiß. Das war wohl auch vielleicht Unrecht. Aber die Schwachheit ist entschuldbar. Man erstickt unter der Last, und es ist eine Erleichterung, es wenigstens Einem sagen zu können.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Arthur! Schreib’ mir, bitte, wie es Dir geht, und recht ausführlich.
Dein
treuer
 Paul Goldmn.
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