Arthur Schnitzler an Paul Goldmann, 22. 11. 1896

|So fest ich auch von dem glücklichen Ausgang überzeugt war, mein liebster Paul – ich bin doch jetzt froher als gestern um die Zeit. Noch vor Deinem Telegramm haben wir im Kaffehaus von einer Redaction |das Resultat telephonisch erfahren. Und nun sage mir selbst – ist es nicht jämmerlich, daß Menschen wie Du solchen Möglichkeiten preisgegeben sind – oder, wie ich fast lieber sagen möchte, preisgegeben zu sein glauben? Ich habe von Leo manches gehört, ich habe auch Deine Artikel in der Fkt. Ztg. alle gelesen – Du hast Dich einfach prachtvoll benommen – auf Dein Tun und Schreiben hin allein müßte das Verfahren gegen Dreyfus neu aufgenommen werden.
Wenn in dieser Sache ein Erfolg erzielt werden wird; Dir wird er zu danken sein. Eine schönere Selbstlosig|keit hat selten ein Mann in Deiner Lage bewiesen. Es ist ebenso edel als blödsinnig, dass Du Dich geschlagen hast – wärst Du aber erschossen worden, so hätte die Ungeheuerlichkeit des Blödsinns alles andere verschlungen. Es ist vorbei – und ich hoffe, dass Du keiner neuen Gefahr entgegen|gehst. Ich wünsche dringend, daß Du Dich durch keinen Tropf mehr beleidigt fühlen mögest. Und wenn Du genötigt bist, einen zu insultieren, so wirst Du jedenfalls genau wissen, warum Du es tust, wirst also immer im Recht sein und kannst auf die lächerliche Fälschung verzichten, welche durch einen Kugelwechsel in klare Tatsachen hineingetragen wird. Du hast ja schließlich auch bewiesen – nachdem das nun einmal notwendig zu sein scheint – daß Du »Mut« hast; also auch von dieser Seite kann man nicht mehr an Dich heran. –
|Vielleicht hast Du Zeit und Lust, mir näheres mitzuteilen; Du begreifst es, daß Deine Seelenzustände in den verschiedenen Momenten mich auch aufs lebhafteste interessieren, auch darüber sage mir etwas. –
Auf Deinen lieben Brief von neulich antworte ich Dir dieser Tage. Von mir ist nur in Kürze zu melden, daß ich an den alten psychischen Sachen in störend hohem Maße leide. –
Leb wohl, mein lieber Paul, und nochmals tausend Glückwünsche, tausend Grüße!
Dein treuer
Arthur
Wien 22. 11. 96.
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