Chef-Redacteur: Dr. F.
Mamroth. – Redaction: IX.,
Berggasse 31.
Wien, den 6. December 1889.
Lieber Freund!
Sie haben Recht, es i
st ein fatales Zu
sammentreffen gewe
sen. Aber – ich habe mir die
Sache reiflich überlegt – es trifft mich nicht
soviel Schuld, als Sie meinen.
Zunäch
st habe ich ja des Ge
spräch nicht ge
sucht; zweitens i
st das
selbe nicht, wie
Ihr
Gewährsmann
angi
ebt, »laut und lebhaft« geführt worden; überdies hatte ich
von der Anwe
senheit eines
Dritten natürlich keine Ahnung; Sachen, die Sie irgendwie kompromittiren
könnten,
sind
selb
stver
ständlich nicht ge
sprochen worden; es i
st eben nur Ihr Name
genannt worden, da es ja unmöglich i
st, die Nennung des Namens von demjenigen zu
umgehen, über den man
spricht. Soweit kann man in
seiner Vor
sicht unmöglich gehen,
daß man von Per
sonen, von denen man ganz
|allgemein
und unverfänglich
spricht, nur die Anfangs-Buch
staben nennt; überdies bitte ich Sie,
sich zu überlegen, wie beleidigend ein
solches Verfahren der betreffenden
Dame gegenüber i
st, mit der
man
spricht, und wie lächerlich man
sich
selb
st dadurch macht. Schuld trägt nur der
Zufall, der es gefügt hat, daß ein Ge
spräch zwi
schen der
Betreffenden und mir überhaupt auf der
Tramway geführt wurde. Und Schuld trägt ferner der
Dritte, der indiskret genug war, auf ein
nicht für ihn be
stimmtes Ge
spräch zu hören, darüber einem And
ren
zu berichten und offenbar in einer Weise zu berichten, welche das jenige, was an
f und für
sich nicht
↓für Sie↓
kompromittirend war, er
st dazu machte. An
dessen
Adre
sse al
so hätten Sie
sich, wie ich meine, mit Ihren Vorwürfen wenden mü
ssen, und
nicht an die meinige.
Sie werden begreifen, daß Ihr Brief mich, der ich mich schuldlos fühle, sehr
verstimmt hat. Ich begreife vollkommen, wie peinlich Ihnen jene Unterredung gewesen
ist; ich bedaure auch von ganzem Herzen, daß ich der unschuldige Anlaß war, daß Ihnen
ein Ärgerniß bereitet wurde. Aber ich finde es – ganz offen gestanden – |nicht recht sreundschaftlich von Ihnen gehandelt,
daß Sie mich ohneweiters für Alles verantwortlich machen und mich in einer etwas
odiosen Form zur Rechenschaft ziehen, odios vor allem deshalb, weil, wie Sie
jedenfalls wissen, efür einen Herrn mit etwas ausgebildeter Empfindlichkeit, es nichts
Verletzenderes gibt, als eine Rüge und eine Belehrung, die mir beide in Ihrem Briefe
ertheilt werden. Wäre ich an Ihrer Stelle gewesen, so glaube ich, daß ich nicht so
vorgegangen wäre. Ich hätte entweder ganz darüber geschwiegen, oder aber ich hätte
die Sache in jenem gewissen Tone scherzhaften Vorwurfs zur Sprache gebracht und es
dem Tacte des andren Theiles überlassen, sich das, was darin Rüge
und Belehrung ist, selbst herauszufinden.
Daß Sie Keines keinen von diesen beiden Wegen
eingeschlagen haben, verletzt mich sehr. Es resultirt daraus, wie gesagt, eine
gewisse Verstimmung gegen Sie. Und da es mir schwer fallen würde, dieselbe zu
verbergen, so bitte ich Sie, d mir zu gestatten, daß ich für die nächsten Wochen von einem |Zusammensein
mit Ihnen absehe. Es fällt mir freilich schwer, Ihre so lieb gewordene Gesellschaft
mir zu versagen; aber Sie haben mich da in eine Zwangslage versetzt, aus der ich
keinen andern Ausweg sehe, als diesen.
Ich grüße Sie herzlichst!
Ihr
Dr. Paul Goldmann.