Chef-Redacteur: Dr. F.
Mamroth. – Redaction: IX.,
Berggasse 31.
Wien, den 7. December 1889.
Lieber Freund!
Weniger die
schiefe und ungemein verzwickte Logik Ihres lieben Briefes, als vielmehr
de
ssen Liebenswürdigkeit bringen mich zu der Überzeugung, daß ich in einem Punkte
jedenfalls Unrecht hatte: in meiner gereizten Auffa
ssung der ganzen Streitfrage. Aber es war gerade ge
stern ein Tag höch
ster Nervo
sität für mich – das war
der phy
si
sche Grund; und dann habe ich mich wüthend geärgert, daß in mein Verhältniß
zu Ihnen, das mir bisher
so viel Freude gemacht, ein Mißton gekommen war – das war
der p
sychi
sche Grund. Ich will auf die Sache
selb
st gar nicht mehr eingehen, obwohl
ich überzeugt bin, daß auch nicht einmal der Vorwurf der Unvor
sich
|tigkeit trifft. Woher wi
ssen Sie denn überhaupt, ob
das
Mädel Ihren Namen
genannt hat, oder ob ich das wa
s↓r↓? Die
ses Thatbe
standes-Moment hätten Sie doch er
st aufnehmen mü
ssen, ehe Sie
Ihr Verdict fällten. Ich meine nach wie vor, daß ich nur
eine schuldhafte Handlung begangen habe, nämlich die, daß ich auf der
Tramway überhaupt gefahren bin. Und ich
sehe, ich werde mir in Zukunft, um Ihnen
Unannehmlichkeiten zu er
sparen, das Tramway-Fahren abgewöhnen mü
ssen.
Aber – lassen wir das wirklich begraben sein. Sie
haben sich gekränkt, ich habe mich gekränkt; ein
Dienstmann hat 30 und die Post 6 Kr. verdient; damit hat
die ganze Affaire, meine ich, Wirkungen genug gehabt, und sie kann jetzt geruhig vom
Erdboden verschwinden. Reden wir nicht mehr davon – ich bin ganz Ihrer Ansicht.
Nur noch ein Wort für die Zukunft. Es wird selbstverständlich wieder vorkommen, daß
Sie Gelegenheit haben werden, sich über mich zu ärgern, obwohl – wie Sie überzeugt sein können – von meiner Seite Alles geschehen wird, um das zu |vermeiden. Aber das ist nun einmal so: wozu hätte
man einen guten Freund anders, als um sich hie’↓r↓ und da über ihn zu ärgern! Ich bin auch ganz Ihrer Ansicht, daß man jeden solchen Zwischenfall zur Sprache bringen soll; dazu ist man befreundet, daß man sich
gegenseitig ausspricht. Nur bitte ich Sie um Eines: keine Briefe mehr in Zukunft. Ich
kann mir nicht hef helfen: sür mich hat so ein Wisch Papier, der mir Sa allerlei unangenehme Sachen sagt, ohne daß ich in der Lage bin, mich ihm
gegenüber zu vertheidigen, immer etwas verteufelt Odioses. Also reden Sie zur Gleiche mit Ihnen thun. So ein Brief ist wie ein Dritter, der sich in etwas
hineinmengt, das nur zwei allein angeht. Also, nicht wahr, den Gefallen thun Sie mir ehe in Zukunft? . . . .
|Und nun nehme ich eine neue Seite, aus wie man das immer thun soll, wenn man mit sich in’s Reine gekommen ist und
wenn Alles wieder gut geworden. Und frage Sie, ob man heut Abend auf das Vergnügen Ihrer Gesellschaft beim Souper rechnen× kann. Oder wann sonst, wenn nicht heut Abend? Und wenn heut Abend – wo und zu welcher Stunde?
Mein Bote wartet auf Antwort.
Herzlichsten Gruß!
Ihr
Paul Goldmann.