Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 7. 12. 1889

Chef-Redacteur: Dr. F. Mamroth. – Redaction: IX., Berggasse 31.
Wien, den 7. December 1889.

Lieber Freund!

Weniger die schiefe und ungemein verzwickte Logik Ihres lieben Briefes, als vielmehr dessen Liebenswürdigkeit bringen mich zu der Überzeugung, daß ich in einem Punkte jedenfalls Unrecht hatte: in meiner gereizten Auffassung der ganzen Streitfrage. Aber es war gerade gestern ein Tag höchster Nervosität für mich – das war der physische Grund; und dann habe ich mich wüthend geärgert, daß in mein Verhältniß zu Ihnen, das mir bisher so viel Freude gemacht, ein Mißton gekommen war – das war der psychische Grund. Ich will auf die Sache selbst gar nicht mehr eingehen, obwohl ich überzeugt bin, daß auch nicht einmal der Vorwurf der Unvorsich|tigkeit trifft. Woher wissen Sie denn überhaupt, ob das Mädel Ihren Namen genannt hat, oder ob ich das war? Dieses Thatbestandes-Moment hätten Sie doch erst aufnehmen müssen, ehe Sie Ihr Verdict fällten. Ich meine nach wie vor, daß ich nur eine schuldhafte Handlung begangen habe, nämlich die, daß ich auf der Tramway überhaupt gefahren bin. Und ich sehe, ich werde mir in Zukunft, um Ihnen Unannehmlichkeiten zu ersparen, das Tramway-Fahren abgewöhnen müssen.
Aber – lassen wir das wirklich begraben sein. Sie haben sich gekränkt, ich habe mich gekränkt; ein Dienstmann hat 30 und die Post 6 Kr. verdient; damit hat die ganze Affaire, meine ich, Wirkungen genug gehabt, und sie kann jetzt geruhig vom Erdboden verschwinden. Reden wir nicht mehr davon – ich bin ganz Ihrer Ansicht.
Nur noch ein Wort für die Zukunft. Es wird selbstverständlich wieder vorkommen, daß Sie Gelegenheit haben werden, sich über mich zu ärgern, obwohl – wie Sie überzeugt sein können – von meiner Seite Alles geschehen wird, um das zu |vermeiden. Aber das ist nun einmal so: wozu hätte man einen guten Freund anders, als um sich hier und da über ihn zu ärgern! Ich bin auch ganz Ihrer Ansicht, daß man jeden solchen Zwischenfall zur Sprache bringen soll; dazu ist man befreundet, daß man sich gegenseitig ausspricht. Nur bitte ich Sie um Eines: keine Briefe mehr in Zukunft. Ich kann mir nicht helfen: sür mich hat so ein Wisch Papier, der mir allerlei unangenehme Sachen sagt, ohne daß ich in der Lage bin, mich ihm gegenüber zu vertheidigen, immer etwas verteufelt Odioses. Also reden Sie zu Gleiche mit Ihnen thun. So ein Brief ist wie ein Dritter, der sich in etwas hineinmengt, das nur zwei allein angeht. Also, nicht wahr, den Gefallen thun Sie mir in Zukunft? . . . .
|Und nun nehme ich eine neue Seite, wie man das immer thun soll, wenn man mit sich in’s Reine gekommen ist und wenn Alles wieder gut geworden. Und frage Sie, ob man heut Abend auf das Vergnügen Ihrer Gesellschaft beim Souper rechnen kann. Oder wann sonst, wenn nicht heut Abend? Und wenn heut Abend – wo und zu welcher Stunde?
Mein Bote wartet auf Antwort.
Herzlichsten Gruß!
Ihr
Paul Goldmann.
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