Therese Rie-Andro an Arthur Schnitzler, [Anfang Juli 1923]

Verehrter Herr Doktor,

Dieser Ort ist so lieb, still und schön, dass ich Ihnen von da einen Gruß schicken muß. Vielleicht finden Sie diese Logik nicht zwingend, aber für mich besteht sie doch. Wahrscheinlich entspringt sie aus dem Wunsch, daß Sie für Ihre Erholung einen Platz finden möchten, der Ihren Neigungen ebenso entspricht, wie dieser hier den meinen – wo es nichts gibt als See und herrlich bewaldete Ufer und gar keine Städter und die nettesten Schafe, Ziegen und Gänse und gar keine Tinte. |Das einzige Tintenfaß in der Gegend befindet sich auf der »Amtstube« des Bürgermeisters, der mir, als ich mich bei meinem ersten Aufenthalt – ich war schon öfters hier – sagte, als ich mich als Ausländerin melden wollte: »Sö san do ka Ausländer, sö reden do wie mir; a Saupreuß, des is a Ausländer!!«
Und als ich diesmal sagte, ich käme jetzt selten ins Reich, meinte er: »Ja ja, ich komm auch selten hin!« – – Und das alles gibts wirklich und es ist nicht von Ludwig Thoma und es ist eine Stunde von München, wo |es so übel knirscht, dass man der nächsten Entwicklung der Dinge nur mit Besorgnis folgt.
Und nun alle guten Sommerwünsche für Sie!
Ihre
 Therese Rie.
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