Arthur Schnitzler an Therese Rie-Andro, 12. 2. 1912

|12. 2. 1912.

Sehr verehrte Frau.

Die musikalische Legende von Hans Pfitzner habe ich mit grösstem Interesse gelesen; als Grundlage für musikalische Bearbeitung scheint mir das Buch sehr glücklich entworfen, aber dichterische und theatralische Qualitäten selbständiger Art würden für Einfall und Durchführung auch bei solchen Lesern Anteilnahme werben, die nicht, wie es mir begegnet ist, schon während der Lektüre immerfort Musik mitklingen hörten, leider noch nicht die von Pfitzner, der ich mich diesmal ganz besonders entgegenfreue. Vielleicht gebricht es dem zweiten Akt ein wenig an innerer Klarheit, doch denke ich mir wird die Musik hier manches zu entwirren imstande sein, was die Knappheit des Textes allzu dicht verknotet hat. Eine Kleinigkeit noch. Im letzten Akt sollten die Leute auf der Strasse nicht »Eviva!« rufen; man muss ja annehmen, dass das Ganze aus dem Italienischen ins Deutsche über|tragen ist und so wirkt es etwas unlogisch, dass gerade dieses eine populäre Wort italienisch stehen geblieben ist.
Bitte, verehrte Frau, Hans Pfitzner in meinem Namen für sein Vertrauen aufs Herzlichste zu danken. Ich hoffe es bald persönlich tun zu können, da er ja im Frühjahr nach Wien kommen dürfte. Von Ihnen hoffe ich bald wieder etwas zu lesen; ich irre mich ja nicht, wenn ich Sie mit der Verfasserin eines Novellenbuches (hiess es nicht die »Augen des Hyronimus«) identifiziere, das ich vor einer Reihe von Jahren mit Vergnügen kennen gelernt habe.
Mit verbildlichem Gruss

Frau L. Andro, Wien.
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