Thomas Mann an Arthur Schnitzler, 28. 5. 1928

|Dr. Thomas Mann München den 28. V. 28.

Lieber, verehrter Arthur Schnitzler,

ich muß Ihnen sagen, wie sehr ich Ihre »Therese« liebe, diesen Roman, der, wie alle Guten und Wichtigen heute, keiner mehr ist, und in den ich in langsamer, inniger Lektüre in mich aufgenommen habe. Was ich so bewundere, ist die Conception des Buches, das Große, Einfache, Wahre, durchaus Lebensgemäße, die dauernde stille und tiefe Erschütterung durch das |Menschliche, ohne Aufwand, ohne Spannung, Konflikte, »Knotenschürzung«, »Erfindung«, – lauter Dinge, die als läppisch zu empfinden dies Buch wie kein anderes zu lehren geeignet ist. Und Sie haben dem Menschenleben, wie es ist, wie es meistens ist, eine Sprache zu finden gewußt, schlicht und rein und wahr wiederum, wahr, treffend und scheinbar unbewegt, aber von so zwingender Melodik dabei, daß man nach den ersten paar Sätzen weiß: Das lese ich mit Lust zu Ende. Haben Sie vielen Dank und aufrichtigen Glückwunsch!
Ihr ergebener
Thomas Mann.
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