Felix Braun an Arthur Schnitzler, 10. 5. 1927

Wien, den 10. V. 27.

Verehrter Herr Doktor!

Längsschulde ich Ihnen Dank für die Gabe Ihres neuen Buches, das ich ja auch längst gelesen habe. Denn – es bekommen, aufschlagen, beginnen und nicht sogleich weiterlesen, angespannt, atemlos bis ans Ende – ich weiß nicht, welche dringende Beschäftigung mich davon abzuhalten vermocht hätte. Das Buch ist die Frucht vollkommener Meisterschaft der Gestaltenbildung sowohl wie auch der Erzählungskunst; sprachlich und anschaulich, der Handlung wie der Begründung nach eine reine Freude des Lesens.
Jemand, der gleich mir die Novelle gespannt gelesen hatte, ein philosophischer, tiefblickender Geist, wandte ein, daß der Schluß nicht befriedige, und auch ich empfinde das. Es hätte notgetan, sagte der Betreffende, daß dem Tod des Leutnants etwas vorausgegangen wäre, davon er selbst erhöht hätte werden müssen: etwa die Annahme des Geldes, das die Frau ihm vielleicht hätte mitbringen sollen, und die Scham darüber wäre dann ein triftigerer Grund zur Selbstjustiz gewesen als bloß die Flucht. Ich mußte diesen Gedanken als einleuchtend anerkennen. Was mir fehlt, ist Transszendenz – vielleicht wäre sie durch eine so geführte Linie der Motivierung ermöglicht worden. Nicht wahr, Sie sind mir nicht böse, Herr Doktor, wenn ich aufrichtig meine Empfindung schreibe?
In einer Zeit der Anarchie ist das Erscheinen des geschlossenen Kunstwerks, des gekonnten, gemeisterten Formgebildes eine solche Seltenheit, daß sich nur Verehrung und Dankbarkeit geziemen. Lassen Sie mich diesschönen Gefühle nicht zurückhalten. Ich freue mich Ihrer stetig sich harmonisierenden produktiven Kräfte, die Werk auf Werk hervorgestalten. Seit dem »Gang zum Weiher« war mir keine Ihrer Dichtungen so nahe wie diese Novelle.
In verehrender Gesinnung ergeben
Felix Braun.