Arthur Schnitzler an Stefan Großmann, 31. 5. 1926

|31. 5. 1926.

Verehrter Herr Grossmann.

Sie haben meine Zustimmung zu dem Nachdruck der in der Neuen Freien Presse zu Pfingsten veröffentlichten »Bemerkungen« nicht abgewartet, doch da ich in jedem Fall bereit gewesen wäre Ihnen diese Zustimmung zu erteilen, so habe ich auch nachträglich nichts einzuwenden. Höchst ärgerlich aber ist mir, dass das vorletzte Aphorisma nur zur Hälfte abgedruckt und dadurch zu einer pretentiösen Plattheit geworden ist. Offenbar ist die 3. Spalte des Originaldruckes der Neuen Freien Presse dem Setzer in Verlust geraten und er hat meine »Bemerkung« aus eigener Machtvollkommenheit durch Hinzufügung eines Wortes zu Ende gedichtet. Sie lautet daher im »Tagebuch«: »Ob ein Mensch dich bestohlen, betrogen, verleumdet habe – es könnte immer noch die Möglichkeit einer Versöhnung, ja selbst eines späteren reinen Verhältnisses zwischen dir und ihm bestehen. Ja, wenn es sich praktisch durchführen lässt –« (!!!)
In Wirklichkaut lautet die »Bemerkung« wie folgt:
»Ob ein Mensch dich betrogen, bestohlen, verleumdet habe, es könnte immer noch die Möglichkeit einer Versöhnung, ja selbst eines späteren reinen Verhältnisses zwischen dir und ihm bestehen. Ja, wenn es sich praktisch durchführen liesse –: selbst mit deinem Mörder könntest du dich nach geschehener Tat vielleicht trefflich verstehen, am ehesten vielleicht mit ihm! Nur |zu einem Menschen, der nicht weiss, was er dir getan hat, führt, selbst wenn du dieses Tun persönlich längst verschmerztest, in aller Ewigkeit kein Weg zurück.«
(Es folgt dann noch ein Aphorisma, das dem Setzer selbstverständlich völlig entgehen musste, da es auf der 3. Spalte stand.)
Ich bitte Sie sehr das Versehen richtig zu stellen und meine »Bemerkung« in Gänze dem Original gemäss abdrucken zu wollen
Den Empfang des Nachdruckshonorars im Betrage von S. 85.– bestätige ich mit bestem Dank und bin mit den verbindlichsten Grüssen
Ihr sehr ergebener

Das letzte Aphorisma, wenn Sie es vielleicht noch nachträglich drucken wollen, lautet:
»Es ist schon oft genug vorgekommen, dass ein Bösewicht aus Klugheit etwas Gutes, aber noch nie, dass ein Dummkopf aus Güte etwas Kluges getan hat.«

Herrn Stefan Grossmann,
Herausgeber des »Tagebuch«,
Berlin.
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar