Lili, das hübsche, Hüte wechselnde, schwer
wiederzuerkennende Wesen sagt mir, dass Sie schon eine ganze Weile zurück sind, in
dessen ich Sie noch in
Deutschland glaubte.
Sie soll mir nur freundlich verzeihen und mich immer etwas vertraulich anlächeln.
Denn ich habe nicht etwa ein schlechtes Physiognomieengedächtnis, sondern etwas viel
Sonderbareres. Meine Phantasie verändert mir das Erinnerungsbild, sie gestaltet um,
verschärft einen besti
mmten Zug, und tritt dann das
Original vor mich, so weigert sich die Phantasie, die Identität anzuerke
nnen. Ich grüße infolgedessen in einem Theater oder auf
der Gasse fast nur fremde Menschen, deren Gesichter ich mit vermeintlichen Gesichtern
in einen plausiblen
|Zusammenhang
bringe. Außerdem aber habe ich schlechte Augen.
Soviel nun von
Lili u. meinen schwierigen,
durch wechselnde Hüte und wechselnden Ausdruck noch erschwerten Begegnungen mit ihr.
Jetzt aber eine Bitte, eine Quälerei, eine mehr zu den vielen die jede Post bringt.
Aber ich wage es, denn es handelt sich darum, einem ordentlichen, in die schwierigste
Lage geratenen Menschen zu helfen. Der Verleger
Erich Reiss (Verleger von
Brandes und
anderen, fast lauter guter Sachen) ist zusammengebrochen. Es wäre ihm vom größten
Nutzen, vor allem moralisch, wenn Sie (ebenso wie ich) die Güte haben wollten, ein
paar Zeilen in Maschinschrift zu dictieren, worin Sie bekunden dass der Verlag
Erich Reiss |ein Unternehmen von culturellem
Wert war.
Bitte tun Sie es auch mir zu lieb, ich kenne den Menschen seit vielen Jahren, und
durchaus im Guten.
Ein paar überaus liebe Zeilen, die Sie mir vor vielen Wochen schrieben, klingen immer
in mir nach.Soll ich, wenn es freundlicher wird, zu
einem Vormittagsspaziergang hinüber kommen?Oder gibts eine andere Form der Begegnung, die Ihnen
nicht beschwerend ist?
In Freundschaft Ihr Hugo.
PS Die Sache mit
E. Reiss ist, soviel ich
verstehe, dringend eilig!