Sie waren diesmal wieder sehr gütig gegen mich in
Wien. Ich ging nach
Salzburg, verlor aber
dort vier Wochen mit Bronchitis, bin hier, und kann über die Gesundheit nicht klagen,
obwol der Sommer hier kalt und unheimlich ist.
Ich hätte Ihnen sehr gerne mein kleines Buch
Hellas geschickt, aber leider durch allerlei Verlegerschwierigkeiten lässt
die deutsche Uebersetzung auf sich warten.
Es war schön, Sie und Ihr Haus wieder zu sehn. Es that mir leid zu merken, dass Ihre
Stimmung nicht heiter war. Sie waren nicht deshalb weniger liebenswürdig, aber ich
gönnte |Ihnen mehr
Lebensfreude.
Man hat ja seitdem ein älteres
Schauspiel von Ihnen im
Burgtheateraufgeführt; ich hoffe, dass die Poesie des
Stückes zu ihrem Rechte kam. Es muss doch ein angenehmes
Gefühl sein, auf viele Menschen zugleich zu wirken. Sie sind diesem Genuss gegenüber
wol etwas verwöhnt und blasirt, aber nicht desto weniger!
Ich wurde eingeladen, die Festlichkeiten wegen des 200 jährigen Bestehens der
Academie der Wissenschaften in
Leningrad (!) mitzumachen; sie strecken sich in
Petersburg und
Moskau von
6–
16 September, aber ich wollte als
Gast nicht heucheln, und Entzücken über den
|jetzigen Zustand in
Russland wäre meinerseits Heuchelei. Reden
müsste ich ja, und das schreckte mich. Sonst hätte ich gerne die zwei
Städte unter den
veränderten Umständen wiedergesehen.
Sie waren sehr lieb so wol gegen meine
Begleiterin wie gegen mich.
Leider reist jetzt Fru
Rung mit ihrem
Gatten und ihrer
Cousine auf 6 Wochen nach
Italien. Ich kann ohne sie meine Correspondenz
nicht bewältigen.
Sie wissen kaum, wie dankbar ich mich im Innersten für Ihre vieljährige Freundschaft
fühle.
Ihr Georg Brandes