Georg Brandes an Arthur Schnitzler, 21. 6. 1925

|Kopenhagen 21 Juni 25

Mein lieber Freund

Sie waren diesmal wieder sehr gütig gegen mich in Wien. Ich ging nach Salzburg, verlor aber dort vier Wochen mit Bronchitis, bin hier, und kann über die Gesundheit nicht klagen, obwol der Sommer hier kalt und unheimlich ist.
Ich hätte Ihnen sehr gerne mein kleines Buch Hellas geschickt, aber leider durch allerlei Verlegerschwierigkeiten lässt die deutsche Uebersetzung auf sich warten.
Es war schön, Sie und Ihr Haus wieder zu sehn. Es that mir leid zu merken, dass Ihre Stimmung nicht heiter war. Sie waren nicht deshalb weniger liebenswürdig, aber ich gönnte |Ihnen mehr Lebensfreude.
Man hat ja seitdem ein älteres Schauspiel von Ihnen im Burgtheateraufgeführt; ich hoffe, dass die Poesie des Stückes zu ihrem Rechte kam. Es muss doch ein angenehmes Gefühl sein, auf viele Menschen zugleich zu wirken. Sie sind diesem Genuss gegenüber wol etwas verwöhnt und blasirt, aber nicht desto weniger!
Ich wurde eingeladen, die Festlichkeiten wegen des 200 jährigen Bestehens der Academie der Wissenschaften in Leningrad (!) mitzumachen; sie strecken sich in Petersburg und Moskau von 616 September, aber ich wollte als Gast nicht heucheln, und Entzücken über den |jetzigen Zustand in Russland wäre meinerseits Heuchelei. Reden müsste ich ja, und das schreckte mich. Sonst hätte ich gerne die zwei Städte unter den veränderten Umständen wiedergesehen.
Sie waren sehr lieb so wol gegen meine Begleiterin wie gegen mich.
Leider reist jetzt Fru Rung mit ihrem Gatten und ihrer Cousine auf 6 Wochen nach Italien. Ich kann ohne sie meine Correspondenz nicht bewältigen.
Sie wissen kaum, wie dankbar ich mich im Innersten für Ihre vieljährige Freundschaft fühle.
Ihr
Georg Brandes
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