Arthur Schnitzler an Thomas Mann, 7. 6. 1925

|Lieber und verehrter Thomas Mann!

Erlauben Sie mir, daß ich statt eines Glückwunsches ein paar anspruchslose Bemerkungen hieher setze, die ich anläßlich der Lektüre Ihres wundervollen »Zauberberg« in mein Notizbuch geschrieben habe und die ich daher in aller Bescheidenheit als Ihnen gewidmet bezeichnen darf. Im übrigen wissen Sie seit lange, wie sehr ich Sie liebe und bewundere.
Ihr
Arthur Schnitzler.
Dem Humoristen – und nur ihm unter allen Schriftstellern – ist Weitschweifigkeit erlaubt; ja, sie ist unter Umständen ein Kunstmittel mehr, dessen er nicht entraten darf und kann.
Behagen ist die eigentliche Grundbedingung des Humors sowohl in subjektivem als in objektivem Sinn. Und der Begriff des Behagens verträgt sich nicht mit Beschränkungen irgendwelcher Art. In gewissem Sinne kann der Humorist niemals ein Ende machen – kaum einen Anfang. Nur technische Notwendigkeiten nötigen ihn dazu.
Der Humorist lustwandelt innerhalb der Unendlichkeit.
In der Tragik gerät der menschliche Geist, so tief er auch hinabsteigen mag, irgendeinmal auf Grund – im Humor niemals.
Die tragische Weltanschauung, von den Höhen des Humors aus betrachtet, wirkt in jedem Falle irgendwie beschränkt, wenn nicht lächerlich oder gar unsinnig.
Dem Humor, dem göttlichen Kind, ist nichts verwehrt; auch nicht mit dem Schmerz, dem Elend, dem Tod zu spielen. Wenn die Ironie, der Witz, die Satire das Gleiche versuchen, empfinden wir das als geschmacklos, roh, wenn nicht gar als Blasphemie.
Ironie, Witz, Satire können nur als gelegentliche Ausdrucksformen des Humors künstlerisch bestehen. Auf sich selbst gestellt mögen sie allerlei Wirkung tun – Wirkungen politischer, moralischer, schriftstellerischer Art, aber mit Kunst in höherem Sinne haben diese Wirkungen nichts zu schaffen.
Humor ist immer dämonischer Natur; das Reich von Witz, Ironie, Satire, dieser gefallenen Engel des Geistes, ist innerhalb des Satanischen geschlossen.
Nicht jeder Künstler von Genie – sschrieb ich vor kurzem Hugo Thimig ins Stammbuch – hat Humor, aber jeder Künstler von Humor (nicht jeder Spaßmacher) hat Genie. Humor ist der weitere und höhere Begriff. Er ist das eigentliche Genie des Herzens, da Güte wohl ohne Humor, aber Humor niemals ohne Güte bestehen kann.
    Bildrechte © ,