Arthur Schnitzler an Hugo Hofmannsthal, 15. 1. 1923

|Maschinenschrift
15. 1. 1923

Mein lieber Hugo.

Sie wissen vielleicht, daß die »Beatrice« von Heinrich Noren komponiert worden ist. Auf mein Ersuchen die Partitur anzusehen, resp. sich Teile aus der Oper von Noren selbst (der einen höchst geachteten musikalischen Namen besitzt) vorspielen zu lassen, erwiderte mir Richard Strauss, daß die Oper überhaupt nicht daran denken könne Uraufführungen zu bringen – aus hauptsächlich materiellen, aber gewiß plausiblen Gründen. Es gibt vielleicht Fälle, in denen man von diesem Prinzip abgehen könnte, es scheint ja auch, daß es manchmal geschieht. Ich selbst konnte natürlich in meinem Falle nicht insistieren, obwohl gerade er am ehesten Anlaß gäbe von jenem Prinzip wenigstens insoweit abzuweichen, als die Direktion der Oper immerhin den Versuch riskieren könnte, das Werk kennen zu lernen. Warum ich das Ihnen erzähle, lieber Hugo? Weil mir neulich Noren schreibt, und weil Bruno Walter gleichfalls behauptet, daß Sie der einzige Mensch wären, der auf Strauss oder Schalk oder auf sie Beide in dem Sinne einwirken könnte, daß diese zum mindesten von der Existenz des in Frage stehenden Werkes Notiz nähmen, der vielleicht sogar (dies sind Bruno Walters Worte) auf die Absurdität hinweisen dürfte, die nicht nur dem Komponisten darin zu liegen scheint, daß die Wiener Oper ein sozusagen von zwei Österreichern verfaßtes Werk, und von nicht ganz unbekannten überdies, nicht nur nicht zu eventueller Uraufführung in Erwägung ziehen, sondern vorläufig sogar eine Prüfung lieber vermeiden möchte. Auch ich fühle etwas von der Absurdität, die in Straussens Vorgehen steckt (mit Schalk habe ich nicht gesprochen, er weiß vielleicht von der Existenz der Oper bis heute gar nichts); trotzdem hätte ich Sie in der Sache nicht bemüht, wenn ich es nicht allzu schwer fände Heinrich Noren die Erfüllung eines Wunsches zu verweigern, die ihm die Erfüllung seines wesent|lichern – die Aufführung seiner Oper in Wien – in die Nähe zu rücken scheint. Ich weiß weder, ob Sie, lieber Hugo, Gelegenheit, noch ob Sie Lust haben sich mit dieser Sache in irgend einer Form zu befassen. Vielleicht sprechen wir bald einmal darüber, wenn Sie wieder nach Wien hereinkommen. Es wäre ja überhaupt schon Zeit, daß man sich wieder einmal sieht und spricht. Ich habe Ihnen noch nicht einmal zum Erfolg des »Großen Welttheaters« gratuliert und nicht gesagt, wie schön Ihre beiden Artikel im »Dial« (nicht nur der über mich) waren.
Seien Sie herzlichst gegrüßt  A. S.
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