lieber und verehrter Freund, für die Freude, die Sie mir durch die
Übersendung Ihres
Goethe-Buchs bereitet haben, sag ich
Ihnen innigsten Dank. Ich lese es mit dem größten Genuß – ich habe fast alle andre
Lectüre unterbrochen, da mein Antheil wie an dem Gegenstand so an dem Verfasser mit
jedem Absatz aufs neue angeregt und entzündet wird. Welche Klarheit, Einfachheit,
Lebendigkeit in der Behandlung jedes einzelnen Werkes und dieses ganzen
unvergleichlich reichen Daseins. Wenn ich nach einem Vergleich suche, ka
nn ich wieder nur auf ein andres Buch von Ihnen
zurückgreifen: auf Ihren
Shakespeare. Wie viel Altersreife war schon in dem früheren Buch, – wie viel Jugendfrische
↓ist↓ in diesem neuen. Welchen Glanz breiten Sie über die
Oberflächen; in welche Tiefen dringen Sie, ohne jemals dunkel zu werden.
|Kritische Betrachtung, historischer Bericht,
culturgeschichtliches Erfassen ergänzen sich, fließen zusa
mmen, und das Ganze einer genialen Persönlichkeit steht
wohlbekannt und doch von einer leichten und starken Hand neu erschaffen, in scharfen
und hellen Linien da. Überall
Goethe wie er
war, – und überall auch Brandes wie er ist – und noch lange bleiben möge! Dies mein
Gruß, lieber und hochverehrter Freund, und mein Wunsch zum neuen Jahre. – In
Bewunderung und Treue