Hochverehrter Herr Doktor!
Ich bin, von der Amtsarbeit lange aufgehalten, endlich mit den Änderungen am »
Juda« (dem man vielleicht auch den Titel: »Der
Herr naht!« geben könnte) und mit den Strichen mit mir in’s Reine gekommen. Die
Klar
stellung der Per
son des Juda gleich in der er
sten Szene (die doch wohl die er
ste
bleiben muß) hat
sich ohne be
sondere Schwierigkeit bewerk
stelligen la
ssen und hat
eine ziemliche Kürzung des Eingangsdialogs zur Folge, zwingt aber leider auch zur
Aus
scheidung mancher charakteri
sti
schen Züge. Mir will es auch
scheinen,
daß als ob durch die
se frühzeitige Enthüllung das über
die Ge
stalt gebreitete my
steriö
se Dunkel etwas lichtfleckig würde und
daß dadurch manche Stellen folgender Szenen (be
sonders
der Ver
sammlungs
szene im verfallenen Hau
se und der Schluß
szene)
|an Wirkung ein wenig einbüßten. Vielleicht
irre ich. Jedenfalls teile ich Ihre An
sicht, daß die
sofort vorgenommene Fe
st
stellung
der Identität des Juda mit dem Judas, da
sie das Ver
ständnis des Publikums fördert,
der Bühnenwirk
samkeit des ganzen Stückes von Nutzen i
st. Ob die Änderung bei einer
späteren Buchausgabe beizubehalten wäre, i
st eine weitere Frage, deren Beantwortung
leider in ab
sehbarer Zeit nicht dringlich werden dürfte.
Die zweite Szene (in
Ostia) und die
sech
ste (die
Ver
sammlungs
szene) habe ich tüchtig zu
sammenge
strichen, indem ich alles das, was
sich
auf die Differenzen zwi
schen den Judenchri
sten und dem paulini
schen Chri
stentum
bezieht, alle Streiterei um Revier und Be
schneidung und dergl., einfach eliminierte.
Dadurch würde einem Le
ser gewiß große Unklarheit ge
schaffen, aber das Theaterpublikum
dürfte darüber hinweg
sehen; in jedem Falle wird auf die
se Weise
sind↓nicht↓ nur vieles, was langweilt, aus dem Wege ge
schafft und eine größere
Konzentration des Intere
sses erzielt,
sondern auch –
|was nicht zu verachten i
st – der
schwer
ste
Zen
suran
stoß be
seitigt. Damit i
st zugleich die Möglichkeit
starker Kürzung der
Simon-Hermon-Szene (Ga
sthaus) gegeben. Nur zu einer
Ver
stümmelung der
Hermon-Chloe-Szene, die mir
sehr an’s
Herz gewach
sen i
st, habe ich den Mut nicht gefunden. Die
se Schächterarbeit möchte
ich, falls
sie unumgänglich nötig i
st, dem Dramaturgen überla
ssen, der ja doch bö
se
wäre, wenn ihm nichts zu tun übrig bliebe.
Was die von Ihnen berührten Modernismen und Fremdworte betrifft,
so la
ssen
sich
manche gewiß ohne Weiteres vermeiden, und ich habe keinen Augenblick gezögert, das
Wort »in
sipid« durch »abge
schmackt« zu er
setzen. Andere aber mü
ssen, meine ich, doch
stehen bleiben; ich wüßte z. Bei
sp. nicht recht, wie ich den Satz des Alityr, mit dem
die vorletzte Szene
schließt: »Ich bin heut indi
sponiert« umändern
sollte; er i
st
halt ein Schau
spieler und da muß »indi
sponiert
sein« als
terminus technicus hingenommen werden; auch »multiplizieren« läßt
sich
schwer verdeut
schen. Daß ich oft ab
sichtlich moderne Redewendungen brauche, haben Sie
ja, hochverehrter Herr Doktor, be
|merkt,
und ich möchte nur beifügen, daß ich es ju
st bei einem in der
römischen Kai
serzeit
spielenden Stücke für direkt rat
sam halte,
damit nicht zu kargen; es
soll dadurch vermieden werden, daß die
Römer der alten
Römer-Stücke,
Livius-gezeugte Puppen von
hartem Holz und Korn, in traditioneller deut
scher Unlebendigkeit da
stehen; es
soll
gewi
ssermaßen immer wieder betont werden, daß die
se Leute modern waren, wie wir
modern
sind. Überdies i
st der Fremdwörtergebrauch gar kein Anachronismus, da damals
das »gebildete« Lateini
sch mit
griechischen
Fachausdrücken und Modewörtern und das
Griechisch der Orientalen mit orientali
schen Wendungen und Flo
skeln
durch
setzt war. Und daß
schließlich meine alten
Römer und Juden gute
Wiener
sind, damit
halt ich gar nicht hinter dem Berge.
Sollten Sie, hochverehrter Herr Doktor, wirklich, ohne sich ein Opfer aufzuerlegen,
Zeit finden, mit mir die Einzelheiten durchzusprechen, so wäre ich Ihnen
außerordentlich dankbar.
Mit den ergebensten Grüßen
Ihr
Robert Adam