|Zistersdorf, am
1. Juni 1915
Hochverehrter Herr Doktor!
Sie haben an mehreren meiner literari
schen Produktionen, zuer
st an der »
Geschichte des Alî ibn
Bekkâr«, dann am »
Neidhard« und zuletzt an der Studie »
Fatme«, einen mich derart ermutigenden Anteil genommen, daß ich es heute wage, Ihnen
die beifolgenden
sechs Szenen, die ich unter dem Titel »
Der Fremde« zu
sammenfa
ssen möchte, mit der ergebenen Bitte zu über
senden, Sie möchten dies
von mir
selb
st nicht allzu ge
schickt und ebenmäßig angefertigte Manu
skript einer
Durch
sicht würdigen und, falls Sie der Inhalt nicht ab
stößt, Ihrer
Manu
skript-Sammlung einreihen.
Diese seltsame Bitte richte ich deswe|gen an Sie,
hochverehrter Herr Doktor, weil ich nicht bloß wegen der Zeitverhältnisse und wegen
des Mißgeschicks, das mich bei jedem Versuch, in die Deutsche Literatur einzudringen,
beharrlich verfolgt, sondern wegen des besonderen ärgerlichen Inhalts der
vorliegenden Arbeit kaum hoffen darf, sie in absehbarer Zeit in Buchform zu lesen und
Ihnen senden zu können, anderseits aber mein sehnlicher Wunsch dahin geht, eine
Produktion, die mir selber sehr am Herzen liegt, dem Manne zur Verfügung zu stellen,
an dessen Urteil und Würdigung mir am allermeisten gelegen ist.
Hinzu kommt noch die Erwägung, daß
sich »
Der
Fremde« der Idee nach als drittes Stück der »
Geschichte des Alî ibn Bekkâr« und dem »
Neidhard« anreiht, die Sie, hochverehrter Herr Doktor, bereits kennen, indem er den
Gedankenkreis der beiden Komödien ab
schließt, und daß es mir daher angelegen
sein
muß, Ihnen auch das letzte Stück, das
sich mit
|dem
Problem der Liebe be
schäftigt, mitzuteilen. Daß es eine
sonderbare Art Drama
dar
stellt, muß ich zugeben: der äußeren Handlung nach – wenn von einer solchen bei
ihm überhaupt die Rede
sein darf – mag es
sich wie die Expo
sition einer Tragödie
ausnehmen, der Idee nach aber i
st die Tragödie in ihm bereits abge
schlo
ssen – die
Tragödie oder die Komödie, wie man’s nehmen mag. –
Verzeihen Sie mir, wie nun schon so oft, auch diesmal meine Zudringlichkeit und
genehmigen Sie die Versicherung meiner Dankbarkeit und Hochachtung.
Ihr sehr ergebener
Robert Adam
(D
r Rob. Ad. Pollak,
kk. Bez. Richter,
Zistersdorf)