Hermann Bahr an Olga Schnitzler, 27. 4. 1912

|27. 4. 12

Sehr verehrte liebe gnädige Frau!

Meine Frau dankt Ihnen herzlichst für Ihre liebe Einladung, der sie so gern folgen würde, wenns nur irgend ging! Es geht aber leider nicht, weil sie gerade jetzt von den  sämmtlichen Freundinnen oder Bekannten, die sie sich in den  vierzehn Wiener Jahren angesammelt hat, dringend aufgefordert wird, sie müßte nun bevor wir Wien verlassen, noch einmal zu ihnen kommen; sie hätte also vierzehn Tage rein mit Besuchen zuzubringen, da sagt sie lieber allen Nein. Nun können Sie sich aber vorstellen, wie eifersüchtig |diese  sämmtlichen Freundinnen darüber wachen, daß sie wenigstens auch bei den anderen nicht erscheint, und Sie können sich den Lärm vorstellen, wenn sie auch nur eine einzige Ausnahme machte. Da Sie ja selbsso glücklich sind, weiblichen Geschlechts zu  sein, werden Sie ja diese femininen Feinheiten besser zu würdigen verstehen als ich selbst und sich Donnerstag mit mir begnügen, der sich unendlich freut, mit Ihnen beiden zusammen zu sein.
Mit den schönsten Grüßen von Haus zu Haus
immer Ihr alternder
HermannBahr
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