mit Ihrem Brief über den
Medardus hab ich mich
sehr gefreut. Der Erfolg hier dauert an; das
Burgtheater hatte seit Jahren nicht eine solche Reihe von ausverkauften
Häusern; übrigens ist es eine vortreffliche Aufführung, und es wäre mir eine
wirkliche Genugthuung we
nn Sie sie einmal sehen könnten.
Natürlich ist unendlich viel gestrichen; darunter Scenen von bedeutender Wichtigkeit
– und ich selbst war der Streicher; von der alten Theatererfahrung ausgehend, daß
das
Publikum gegen Längen empfindlicher ist als gegen Lücken. Ich hatte das Stück
geschrieben, ohne die Eventualität einer Aufführung überhaupt in Betracht zu ziehen,
ließ meine Phantasie und meine Feder laufen, wie es ihnen beliebte,
|hatte aber natürlich immer die lebendigen
Bühnenbilder vor mir, ohne recht zu glauben, daß es mir vergö
nnt sein würde, sie je in Wirklichkeit zu erblicken.
Schon
Schlenther nahm das
Stück an, konnte sich aber, in bekannter
Weise nicht entschliessen, seine Absicht zur That zu machen; erst dem Baron
Berger verdankt
ich das
Stück sein
Erwachen zum Bühnenleben. Seither ist schon manches andre fertig geworden und Sie,
verehrter Freund, der allen meinen Arbeiten mit so wohlthuendem Interesse
entgegenkommt, werden natürlich auch in den neuen und neuesten Fällen die
Consequenzen zu tragen haben. –
Denken Sie nicht dran, nach langer Zeit endlich wieder nach
Wien zu kommen? Wie gern möchte ich mit Ihnen reden, Sie in
meinem Hause begrüßen – »Mein Haus« sag ich, denn im vergangenen
|Sommer hab ich von Frau
Bleibtreu, der Wittwe des Schauspielers
Römpler – (sie spielt die Frau
Klaehr im
Medardus),
eine kleine Villa im
Cottage gekauft die ich mit
Frau und
Kindern – (den
Buben, der jetzt 8 Jahre ist, kennen Sie
von
Marienlyst her, das
Mädchen ist kaum anderthalb Jahre alt)
bewohne.
So darf ich ↓mich↓ mancher inneren wie äußeren Erfolge
erfreuen, und empfinde das viele Gute, das mir vom Schicksal beschieden, zuweilen
so
stark, daß ich jenes stetig fortschreitende Ohrenleiden, von dem ich seit 15 Jahren
geplagt bin, gern als einen Polykratesring ansehen möchte – wenn ich auch als einen allzu werthvollen – und jedenfalls als einen, den kein Fischer
der Welt mir jemals zurückbringen wird. –
|Beer Hofmann mit seiner
Frau und seinen drei
Kindern wohnt ganz nahe
von mir, in einem sehr schönen
Haus, das ihm der Architekt
Josef
Hoffmann gebaut hat, und arbeitet nicht so viel, als er seinem Talent nach
verpflichtet oder verurtheilt wäre. Sie sollten wieder einmal herkommen, – womöglich
im Mai – man könnte einander so vieles erzählen; – in einer Stunde etwa zehn Mal so
viel, als in zwei Briefen steht; das beste, was man von Menschen hat, die einem werth
sind, bleiben doch die zwanglosen Unterhaltungen, die von der ganzen Atmosphäre der
Persönlichkeit umgeben sind – was ist dagegen die gewollte Condensation und
Praecision eines noch so herzlich intendirten Schreibens?
|In Briefen will man was besti
mmtes sagen; – man dankt, man berichtet – man bezweckt; –
in Gesprächen läßt man sich und den andern viel reiner leben, – man mag mit hundert
Geheimnissen voneinander scheiden; – die Stimme, der Tonfall, die Geste geben selbst
Befangenheiten, ja Unaufrichtigkeiten (die zwischen uns nicht zu befürchten sind)
jene beste und einzige Wahrheit, an der wir uns erl
e↓a↓ben dürfen: Gegenwart.
Dies soll Sie natürlich nur bestimmen (o welche Kraft traue ich schiefen Aphorismen
zu!) nach
Wien zu reisen – aber Sie ja nicht
abhalten, mich bald wieder durch ein paar geschriebene Worte zu erfreuen. In
herzlicher Verehrung
Ihr
Arthur Schnitzler