Wenn ich Sie lese, thut es mir leid, dass ich so weit von Ihnen wohne und so selten
Gelegenheit habe, mit Ihnen einige Worte zu wechseln.
Medardus habe ich sehr genau gelesen, laut vorgelesen, um es recht zu würdigen. Sie
haben dort ein reiches Bild aufgerollt. Mit Ueberraschung und Freude erfuhr ich aus
einer Zeitungsnotits, dass das Stück trotz
seiner epischen Anlage erfolgreich aufgeführt worden ist. Die – im
Goetheschen Sinn über
Kleist –
V fesselnde »Verwirrung des
Gefühls« in
Medardus ist so recht Ihre Domäne.
|Sehr fein ist die schwache
Andeutung
der einer geistigen Verwandtschaft zwischen
Helene und
Napoleon.
Die ganze
Wieneratmosphäre vor 100 Jahren haben
Sie geben wollen. Und wenn ich nicht irre, lag es Ihnen besonders am Herzen, zu
zeigen, auf welchem Hintergrund von Spiessbürgerlichkeit und lässiger Frivolität,
die
in
Wien zu Hause
sind↓waren↓, und auf welchem Hintergrund von unnationalem Wesen und Gehorsam dem
Eroberer gegenüber, die in
Deutschland
hervortraten, der Heroismus einiger Weniger sich geltend machte. Eine nachsichtige
Menschenverachtung durchdringt das Schaupiel und findet u. a. in mir ein Echo.
Ich möchte immer gerne wissen, wie es
|Ihnen geht und wie es
Beer-Hofmann geht, den ich (vor 16 Jahren,
glaube ich) mit Ihnen kennen lernte.
Ueber mich selbst ist nichts Interessantes, wenigstens nichts besonders Gutes zu
melden. Ich bin nicht krank.
Haben Sie für die Treue Dank, womit Sie bei jeder neuen Arbeit auch an mich
denken.
Ich bin Ihr unveränderlicher Freund
Georg Brandes